Die letzten Gerechten: Roman (German Edition)
Memphis, um verschiedene Nahrungsmittel einzukaufen, von denen Cale noch nie gehört hatte und die fast alle extrem teuer waren.
»Ihr habt ihn in diese Lage gebracht, also müsst Ihr auch dafür sorgen, dass er sich gut erholt.«
Das Problem war, dass keiner von ihnen Geld besaß– die Frage von Bradmores Honorar war bislang sorgsam vermieden worden. Bradmore hatte angenommen, dass die Materazzi bei ihrer Flucht zumindest einen Teil ihres berühmten Reichtums hatten retten können. Doch das war, wie Cale wusste, nicht der Fall, und das Wenige, das sie besaßen, würden sie wohl kaum für die ruinös teure ärztliche Behandlung irgendeines fremden Jungen ausgeben wollen. Schließlich hatten sie selbst genug Probleme. Vipond war zwar damit einverstanden, dass man Bradmore den Eindruck vermittelte, Geld spiele bei der Behandlung des Jungen keine Rolle, aber wie die Rechnung dann bezahlt würde, sei einzig und allein Cales Problem. Cales Hoffnung ruhte auf dem Verkauf eines kleinen Rubins, den er aus dem Diadem einer Statue der Mutter des Gehenkten Erlösers im Vorzimmer in Chartres gestohlen hatte. Zumindest hoffte er, dass es ein Rubin war, oder wenigstens halbwegs wertvoll.
Doch das war nicht sein einziges finanzielles Problem. Er musste nicht nur für Henris Überleben, sondern auch für den Unterhalt der Purgatoren sorgen. Manchmal wünschte er sich, dass sie einfach verschwinden würden, aber natürlich würde das nicht geschehen. Nicht nur deshalb, weil sie in Treue fest zu ihm hielten, sondern auch, weil ihm klar war, dass er mit hundertsechzig kampferprobten Soldaten hinter sich gut für das gerüstet war, was noch kommen mochte. Aber er musste für ihren Unterhalt zahlen und sie gleichzeitig außer Sichtweite halten. Wenn auch nur einer der Materazzi herausfand, wer die Männer waren, würde Cale große Schwierigkeiten bekommen.
Am Tag nach der Entfernung des Pfeils ging Cale deshalb allein auf den Markt, um ein paar Lebensmittel zu kaufen, die Henris Verstopfung beseitigen würden. Gleichzeitig wollte er herausfinden, wie viel er für seinen Rubin bekommen würde. Während er durch die Reihen der Marktstände schlenderte und von allen Seiten das teilweise unverständliche Verkaufsgeschrei der Händler auf ihn eindrang– »Banen! Toffeln! Zwe ebbel koofn, dre ebbel kriechen…«–, fielen ihm drei benachbarte Läden auf, die einem Gemüsestand gegenüberlagen. Der Gemüsestand war mit kunstvoll zu einem großen Gesicht arrangierten Karotten, Rüben und Blumenkohlköpfen gestaltet worden. In jedem der drei Länden saß eine Frau an einem Tisch und flickte Kleider. Er beobachtete zwei von ihnen eine Weile, doch dann blieb sein Blick an der dritten Frau hängen, teilweise deshalb, weil sie viel jünger als die anderen war, aber auch, weil sie mit unglaublicher Geschwindigkeit arbeitete. Er beobachtete sie mehrere Minuten lang, wobei ihn nicht nur ihre Schnelligkeit faszinierte, sondern auch die fast magische Geschicklichkeit, mit der sie gerade einen Kragen an eine Jacke nähte. Er beobachtete die Leute gerne bei der Arbeit. Ein paar Mal blickte sie kurz zu ihm herüber– das Fenster war nicht verglast–, und schließlich redete sie ihn an.
»Brauchst du einen Anzug?«
»Nein.«
»Dann verschwinde.«
Er war es in jüngster Zeit nicht mehr gewohnt, sich auf diese Weise abfertigen zu lassen, schon gar nicht von einem Mädchen, aber er war auch müde und fühlte sich elend. Hab mir wohl eine Erkältung geholt, dachte er. Wird wohl besser sein, die Einkäufe hinter mich zu bringen. Als er sich umwandte und ging, blickte sie nicht auf. Er schlenderte langsam durch die Gassen und brauchte zehn Minuten für eine Strecke, die normalerweise in fünf zu schaffen war, bis er an einem Platz namens Wallbow Garden ankam. Im Unterschied zu den meisten Plätzen mit Läden, die es in Spanish Leeds gab, wurde dieser von einem halben Dutzend extravagant livrierter Aufseher bewacht, die ständig über den Platz spazierten, um Diebe und Einbrecher davon abzuhalten, sich den rund zwanzig Juwelier- und Goldschmuckläden zu nähern, die sich um den Platz reihten. Nach dem Ende von Memphis waren diese Läden die Ursache dafür, dass Spanish Leeds nun als wichtigstes Handelszentrum für Edelmetalle und Schmuck in den Vier Quadranten galt.
Der erste Juwelier erklärte, der Stein sei nur ein Halbedelstein und von geringerem Wert, nicht mehr als fünfzig Dollar. Das freute Cale, denn es war klar, dass der Mann log und dass der
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