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Die letzten Gerechten: Roman (German Edition)

Die letzten Gerechten: Roman (German Edition)

Titel: Die letzten Gerechten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Hoffman
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Papst Bento XVI . in der heiligen Stadt Chartres. Seit zwanzig Jahren war er eine Respekt einflößende Bastion der Macht und der Glaubensreinheit gewesen und hatte zwei Jahrzehnte lang versucht, auf der Suche nach der erneuerten Reinheit des einen wahren Glaubens die Veränderungen der vorausgegangenen hundert Jahre rückgängig zu machen. Doch vor einiger Zeit war er der großen Krankheit des Alters, mens vermis, zum Opfer gefallen; zunächst hatte sich das in einer Neigung gezeigt, manche Dinge zu vergessen, dann hatte er begonnen herumzuirren, schließlich herumzuirren ohne zurückzukehren, mit Ausnahme einiger weniger heller Momente von wenigen Stunden Dauer, in denen seine geistigen Fähigkeiten vollständig wiederhergestellt schienen. Doch von wo– wer konnte es wissen? In den drei Jahren, in denen die Krankheit seinen Verstand ruiniert hatte, kam es zu vielen Kabalen, Verschwörungen und Kungeleien, und viele Seilschaften bildeten sich, die sich alle nur auf den einen Augenblick richteten, an dem ihn der Tod von seinen Pflichten erlösen würde. Die beiden wichtigsten Cliquen waren die Triumphierenden Erlöser, die vom Erlöserkardinal Gant angeführt wurden– der für den Erhalt der religiösen Lehrtraditionen verantwortlich war–, und das Amt des Heiligen Stuhls, das von Erlöserkardinal Parsi kontrolliert wurde. Wer den Heiligen Stuhl und die Triumphierenden Erlöser kontrollierte, der kontrollierte auch den Zugang zum Heiligen Vater, und da der Heilige Vater so sehr krank war, vereinigten die beiden Kardinäle in ihren Händen eine ganze Menge Macht. Soweit es ihren Hass auf Bosco anging, bestand zwischen Gant und Parsi ungefähr so viel Unterschied wie zwischen einer Stechmücke und einem Moskito. Boscos Meinung zu beiden ging weit über bloßen Hass hinaus. Diese lang andauernde Erzfeindschaft war ursprünglich ein Einfall von Papst Bento gewesen, der ebenso an das Prinzip des Teilens und Herrschens glaubte wie an Gott. Wenn die richtige Zeit kam, würde er unter den drei Männern einen Nachfolger auswählen, aber solche Überlegungen lagen nun jenseits seiner Möglichkeiten, obwohl es eigentlich nur noch um die Wahl zwischen Gant und Parsi ging. Bosco kam nicht mehr infrage, denn er wurde des Denkens verdächtigt, und manchmal sogar eines neuen Denkens. Und weil Bosco diese Vorbehalte bekannt waren, hatte er eigene Pläne entwickelt.
    Bosco war ein Mensch, der säte und erntete, und darin war er sogar noch begabter als Kanzler Vipond von Memphis. Er hatte sofort auf die Katastrophe reagiert, die Cale durch die Ermordung Picarbos ausgelöst hatte, und auf Cales anschließende Flucht. Aber es ist eine große Hilfe, wenn man weiß, dass Gott auf der eigenen Seite steht, und wenn man außer dem Glauben auch über genug Verstand verfügt, um zu erkennen, dass Gott jenen hilft, die sich selbst zu helfen wissen. Deshalb hatte er unter jenen, die es erfahren mussten, das Gerücht gestreut, Picarbo sei von antagonistischen Spionen ermordet worden und Cale habe sich gezwungen gesehen, sich ihnen anzuschließen, um einen Plan zur Ermordung des Papstes aufzudecken. Wenn es um die Antagonisten ging, erschien keine Anschuldigung zu absurd. Wie er gegenüber Bruder Gil gern bemerkte, dem Mönch, den er am ehesten ins Vertrauen zog: »Eine große Lüge ist leichter zu glauben als eine kleine Lüge, und eine einfache Lüge wird eher akzeptiert als eine, die zu kompliziert klingt.« Deshalb hatte er seinen Propagandachef beauftragt, ein Buch zu schreiben– Protokolle der Moderatoren des Antagonismus –, in dem die Einzelheiten eines solchen Plans umrissen wurden. Dann hatten sie nach einer sorgfältigen Suchaktion die Leiche eines Erlösermönchs gefunden, der sämtliche höchst übertriebenen Kennzeichen aufwies, die gewöhnlich einem typischen Antagonisten zugeschrieben wurden: Er hatte grüne Zähne– ein hübsches Symptom der Krankheit, an der er gestorben war–, wulstige Lippen, eine große Nase und schwarzes, lockiges Haar. Die Leiche hatten sie vor der Insel der Märtyrer ins Meer geworfen, da sie genau wussten, wohin die Strömung den Leichnam treiben würde, und überließen den Rest der allgemeinen Bereitschaft, an solche Verschwörungen zu glauben. Die Protokolle beschränkten sich jedoch nicht auf die Details des entsetzlichen Plans selbst, sondern brachten auch die Befürchtung zum Ausdruck, dass ein ungewöhnlich mutiger und heiliger Spion des Erlöserordens im Einsatz sei, dem es mit enormer

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