Die letzten Gerechten: Roman (German Edition)
erhofft und erwartet hatte, war eingetreten, sogar mehr als das. Zwar wunderte er sich darüber, dass Gott ihm all das, was seine Vision versprochen hatte, tatsächlich gewährt und in das große Fass gefüllt hatte, aber es gab nach wie vor Spuren des Unvollkommenen in ihm: ein sinnloser Zorn und eine innere Auflehnung, die einfach nicht rechtschaffenem Verhalten weichen wollten. Bevor er doch noch einschlief, beruhigte er sich mit dem Gedanken, dass er nicht geplant hatte, Cale der Welt zu präsentieren, bevor nicht mindestens zehn Jahre vergangen waren. Wäre dieser Irre Picarbo mit seinen grässlichen Experimenten nicht gewesen, dann wären die Dinge ganz anders verlaufen. Nachdem er kurz aus der Haut gefahren war, zwang er sich dazu, nicht mehr auf sein übles Temperament zu achten; er beruhigte sich mit einem seiner ältesten Wahlsprüche: »Ein Plan ist wie ein Kind in der Wiege– es weist wenig Ähnlichkeit mit dem erwachsenen Menschen auf.«
Früh am nächsten Morgen wartete er auf dem Platz des Blutes der Märtyrer voller Ungeduld darauf, dass ein weiterer Teil seiner sehr sorgfältig ausgearbeiteten Pläne Wirklichkeit werden würde, sodass er letztendlich die Oberhand gewinnen würde. Die großen Tore öffneten sich knarrend, und dreihundert Erlöser marschierten in die Ordensburg ein. Zwar würde man sie schwerlich als die Crème de la Crème des militärischen Flügels der Priesterschaft bezeichnen können, denn das Wort würde ihnen in keiner Weise gerecht, schließlich ist eine Crème etwas sehr Mildes und Sanftes. Davon waren diese Männer weit entfernt; sie bildeten sogar eine vollkommen unmögliche Gruppe. Nur mit größter Behutsamkeit und Geduld über fast zehn Jahre hinweg hatte Bosco sie für seine Sache gewinnen können. Denn es ist keine leichte Aufgabe, Unbeugsame in eine bestimmte Richtung zu lenken und mit Fanatikern vernünftig zu argumentieren. Und am schwierigsten war es gewesen, die bei diesen Männern immer wieder aufflackernden Momente von Wagemut und kreativer Gewalt zu erhalten, denn das waren die Eigenschaften gewesen, die seine Aufmerksamkeit überhaupt erst auf diese Männer gelenkt hatten. Sie alle waren Erlösermönche, bei denen sich eine Begabung gezeigt hatte, unwahrscheinlich erscheinende neue Lösungen zu finden, und die darüber hinaus auch in reichlichem Maße über die eher konventionellen Talente wie Grausamkeit, Brutalität und bedingungslose Gefolgsbereitschaft verfügten. Diese dreihundert Mönche würden Cales unmittelbare Gefolgschaft bilden. Cale würde sie weiter ausbilden, und jeder von ihnen würde seinerseits einhundert weitere Männer ausbilden und jeder von diesen wiederum weitere hundert Männer. Und nun, da Bosco Cale und diese Elitetruppe hier in der Burg versammelt hatte, stand ihm die Basis zur Verfügung, die er benötigte, um das Ende allen Seins herbeizuführen.
Bosco fehlte zwar eine Machtbasis, die der seiner Rivalen in Chartres vergleichbar war, aber er hatte dafür eine große Vielfalt von Gefolgsleuten ganz unterschiedlicher Art, die sich teilweise untereinander nicht kannten. Manche waren fanatisch in ihren Überzeugungen, wahre Gläubige seines Plans, die Welt für immer zu verändern; die meisten Männer jedoch hatten keine Kenntnis von seinen endgültigen Absichten, sondern hielten ihn, Bosco, in Glaubensdingen für einen eifrigeren und daher besseren Führer als Parsi oder Gant. Andere dagegen waren noch lauwarm in ihrer Bereitschaft: Sie sahen in ihm einen Mächtigen, der eines Tages noch mächtiger werden konnte. Gut möglich, dass er beim Tod des Papstes, Friede sei mit ihm, wieder im Schatten verschwinden würde, aber man konnte nie wissen. Durch diesen hässlichen Regenbogen von Verbindungen und Allianzen hatte Bosco die Botschaft über Cale verbreitet und enthüllt, welches Heldentum er bewiesen habe, als er den Papst vor der Bösartigkeit nicht nur der Antagonisten rettete, sondern auch vor dem Eroberungsdrang der nunmehr vernichteten Materazzi. In inoffiziellen Schmähschriften wurden in missbilligendem Tonfall, aber in allen köstlichen Einzelheiten die Versuchungen und Gefahren dargestellt, denen Cale ausgesetzt gewesen war. Die Stadt Memphis wurde in groben Zügen und voller Ekel geschildert, doch war die Beschreibung keineswegs unwahr– die ständige Verfügbarkeit fleischlicher Genüsse, die Verschlagenheit der Politiker, die listreichen Verführungskünste der schönen, aber korrupten Frauen. Zwar mochten manche der
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