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Die letzten Gerechten: Roman (German Edition)

Die letzten Gerechten: Roman (German Edition)

Titel: Die letzten Gerechten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Hoffman
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sich seine Lippen in stummer Berechnung bewegten.
    »Ich kann in zwei Stunden anfangen.«
    »Wie schnell kannst du anfangen, wenn du dich anstrengst?«
    Brzica überlegte noch einmal.
    »In zwei Stunden.«
    Bergeron seufzte.
    »Und dann dauert es wie lange?«
    »Wenn die Rotunda erst einmal in Fahrt ist, schaffen wir einen in zwei Minuten. Mit Pausen macht das elf Stunden.«
    »Und ohne Pausen?«
    »Elf Stunden.«
    »Nun gut«, sagte Bergeron abschließend, offenbar sehr zufrieden mit seiner Verhandlungsführung. »In der Rotunda, in zwei Stunden.«
    Tatsächlich begann Brzica schon nach weniger als einer Stunde zusammen mit seinen vier Helfern oder Köpfkerlen in der Rotunda mit den Vorbereitungen. Er hatte sich seine Opfer gründlich angeschaut: Sie waren ein hart aussehender Haufen. Wenn sie auch nur eine Ahnung von dem bekamen, was sie hier erwartete, würde Brzica eine Menge Probleme bekommen. Im Moment jedoch waren sie völlig ahnungslos– wenn auch nicht völlig unbekümmert. Denn selbst so raue Gesellen wie diese begaben sich nicht sorglos in eine Situation, in der sie dem Tod und der ewigen Folter entgegensehen würden. Etwas jedoch bereitete Brzica beträchtliches Kopfzerbrechen. »Warum«, fragte er den wachhabenden Kriegermönch, »wurden sie nicht in ihren Zellen eingeschlossen? Warum steht außer dir niemand Wache?«
    Die Antwort des Wächters klang überzeugend. »Keine Ahnung.«
    Die Einsilbigkeit des Wärters war nicht nur der Tatsache zuzuschreiben, dass er tatsächlich keine Ahnung hatte, sondern auch dem Umstand, dass alle es vermieden, mit Brzica zu reden. Selbst der dümmlichste Erlösermönch blickte auf ihn herab und verachtete ihn, wie Henker seit Menschengedenken verachtet wurden. Niemand mochte ihn, aber das kümmerte ihn nicht, oder jedenfalls redete er sich das ein. Tatsächlich registrierte er sehr empfindsam, wie man ihm begegnete. Er mochte es, gefürchtet zu sein. Er genoss es, als tödliche und geheimnisvolle Gefahr gesehen zu werden. Doch die Verachtung traf ihn zutiefst. Sie war unerwünscht. Ungerecht. Er hielt sich zwar von den anderen fern, aber ihre Missachtung verletzte seine Gefühle.
    Doch Brzica litt schweigend, nicht aus freier Entscheidung, sondern weil niemand mit ihm sprechen wollte. Nicht einmal seine Helfer, von denen zwei sich, sehr zu seiner Verärgerung, vor Kurzem für einen Einsatz in Mogadischu beworben hatten, wo sie sich um Leprakranke kümmern wollten. Für so viel Treulosigkeit würden sie bald ihre gerechte Strafe erhalten, aber für die am heutigen Abend anstehende Aufgabe war es wichtig, ein geeintes und harmonisch arbeitendes Team an seiner Seite zu wissen.
    Noch gab es viele Probleme. Er unternahm einen Spaziergang im Kreuzgang, um einen klaren Kopf zu bekommen. Sollte er sie zuerst fesseln lassen? Nein. Der Vorteil von gefesselten Händen und Füßen musste gegen den Nachteil abgewogen werden, dass andere merken würden, dass etwas Unangenehmes vor sich ging. Diese Männer würden sich nicht einfach wie Lämmer zur Schlachtbank führen lassen, und angesichts der Tatsache, dass ihre Zellentüren nicht abgeschlossen worden waren, konnte leicht ein Aufruhr entstehen. Es war besser, entschied er, wenn sie bis zuletzt ahnungslos blieben. Er musste also bei jedem einzelnen die Sache so schnell durchziehen, dass dieser nichts merkte, bis es zu spät war, und sie schon den nächsten halb erledigt hatten. Jeder Vorgang erforderte von ihm höchste Geschicklichkeit und eine sichere Hand, und über beides verfügte er im Übermaß.
    »Gute Nacht, Bruder.« Bosco ging an ihm vorbei, tief in Grübeleien über Cale versunken.
    »Gute…«
    Aber Bosco war schon verschwunden.
    Die Rotunda war von Brzicas Vorgänger– der nach Brzicas Meinung ein Spinner gewesen war– geplant worden und war, ebenfalls nach seiner Meinung, komplizierter als eigentlich nötig erbaut worden. Alles so einfach wie möglich, lautete sein Motto. Er hatte das ursprüngliche Drei-Kammer-System für die Massenexekutionen– eine Kammer als Warteraum, eine zweite für die Vorbereitung und die dritte für die Hinrichtung– durch ein System ersetzt, das stärker auf einer echten Zusammenarbeit mit dem Opfer basierte, dem allerdings der Eindruck vermittelt werden musste, dass ihm etwas ganz anderes bevorstand. Deshalb wurde dem Opfer erklärt, er würde kurz dem Prior vorgestellt. Trat das Opfer durch die schalldichte Tür, konnte es den Prior sehen, der vor einer Heiligen Ikone des Gehenkten

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