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Die letzten Gerechten: Roman (German Edition)

Die letzten Gerechten: Roman (German Edition)

Titel: Die letzten Gerechten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Hoffman
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Erlösermönch und Stellvertretende Kerkermeister Bergeron nervös in Boscos Gemach und übergab ihm eine Liste mit dreihundert Namen, um die Bosco gebeten hatte, weil er sie mit seinen eigenen Aufzeichnungen vergleichen wollte. Bosco wollte sichergehen, dass sich in seiner Elitetruppe keine Maulwürfe eingeschlichen hatten. Die neue Liste ergab, dass sich tatsächlich nur zweihundertneunundneunzig Männer in der Burg aufhielten. Der fehlende Erlösermönch musste aufgespürt werden, für den Fall, dass er seine Entscheidung bereut hatte oder unterwegs gefangen genommen worden war. Wie sich eine Weile später herausstellte, war er auf dem Weg zum Sammelplatz der Truppe an Pocken gestorben. Der Stellvertretende Kerkermeister war nervös, weil er keine Erfahrung im Umgang mit dem Furcht einflößenden, mächtigen Bosco hatte. Sein eigener Vorgesetzter, der Kerkermeister, war am Tag zuvor verhaftet worden. Ihm wurde Pietätlosigkeit zur Last gelegt, ein Vergehen, das schwer genug war, um ihn in den Kerker zu werfen, aber nicht so wichtig, um Bosco davon in Kenntnis zu setzen. Der Kerkermeister hatte damals seinen Stellvertreter aus einem einzigen Grund ausgewählt: Der Mann verfügte nur über stark eingeschränkte Geistesgaben und würde daher für seine Position keine große Bedrohung darstellen. Eine Stunde, nachdem nun Bergeron seinem Monsignore Bosco die Liste übergeben hatte, kehrte der Stellvertreter in Boscos Gemächer zurück. Bosco blickte nicht auf, als der Mann eintrat, sondern schob ihm nur die Liste über den Tisch zu. Der Kerkermeister nahm das Dokument nervös an sich, ohne es anzuschauen, und entfernte sich so schnell wie möglich aus Boscos bedrohlicher Gegenwart.
    Draußen spürte er, dass sein Herz so heftig pochte wie das eines jungen Mädchens nach dem ersten Zungenkuss. Er atmete tief durch; dann trug er die Liste zu einer schwach brennenden Fackel, um sie sorgfältig zu überprüfen. Währenddessen traten ihm die Augen vor Angst und Unsicherheit fast aus dem Kopf. Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt. Er hatte viel zu viel Angst, um Bosco um eine Erklärung zu bitten, und war zu stolz, um seinen Vorgänger zu Rate zu ziehen. Und er hatte Recht, denn in den Augen beider Männer hätte er töricht gewirkt. Schließlich war seine Beförderung noch nicht bestätigt worden. »Was du auch sein magst«, hatte er einmal sagen hören, »sei immer entschlossen.« Dieser nicht sehr gute Ratschlag, der auf jeden Fall missverständlich sein konnte, hatte sich in seinem Hinterkopf festgesetzt und wartete nur auf eine günstige Gelegenheit, ihn in die Irre zu führen. Und nun endlich war diese Gelegenheit gekommen. Wie vielen von uns wäre es anders ergangen? Wie viele unserer schlimmsten oder besten Augenblicke wurzeln in einem kleinen unsinnigen Wortfetzen, der sich irgendwann in unserer Seele festhakte wie ein Unkrautsamen in den Ritzen felsigen Gesteins, nur um dort wider alle Erwartung aufzublühen? Er dringt mit seinen Wurzeln in die feinsten Spalten, zwängt die Ritzen auseinander, und ein plötzlicher Sturm genügt, schon dringt Wasser in die Ritzen, gefriert in der eisigen Winternacht und sprengt schließlich den Fels. Ein Fremder geht vorüber, sein Pferd stolpert auf dem gelockerten Gestein, der Reiter wird abgeworfen und stürzt in den furchtbaren Abgrund. Und so eilte Bergeron zur Zelle von Petar Brzica und klopfte in der tiefsten Überzeugung, das Richtige zu tun, an dessen Tür.
    »Ja?«
    »Die Männer auf dieser Liste im Nordflügel sind hinzurichten.«
    Brzica war nicht sonderlich überrascht, da in jüngster Zeit bereits eine große Zahl Gefangener vom Nordflügel vom Leben zum Tode befördert worden waren. Er studierte die Liste und berechnete überschlägig, welche Aufgabe vor ihm lag. »Ich dachte eigentlich«, bemerkte er eher beiläufig, »dass die Hinrichtungen für den Augenblick zu Ende seien.«
    »Offensichtlich nicht«, kam die missmutige Antwort. »Vielleicht möchtest du selbst zu Kriegsmeister Bosco gehen und ihn fragen, was er vorhat?«
    »Nicht meine Aufgabe«, antwortete Brzica knapp. »Es steht uns nicht zu, ihn nach seinen Gründen zu fragen. Wann?«
    »Jetzt.«
    »Jetzt sofort?«
    »Ich komme direkt von Erlöser Bosco.«
    Das wirkte.
    »Warum diese Eile?«
    »Das braucht dich nicht zu kümmern. Du musst nur so schnell wie möglich anfangen und die Sache zu Ende führen.«
    »Wie viele sind es genau?«
    »Zweihundertneunundneunzig.«
    Brzica überlegte, während

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