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Die letzten Gerechten: Roman (German Edition)

Die letzten Gerechten: Roman (German Edition)

Titel: Die letzten Gerechten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Hoffman
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Erlösers kniete. Das Opfer und seine zwei Begleiter knieten dann nebeneinander nieder, Letztere vielleicht ein wenig dichter neben ihm, als er erwartet hätte. Der Prior erhob sich und wandte sich zu ihm um; das Opfer blickte zu ihm auf. Brzica in seiner Lederschürze packte sein Haar, die beiden Wärter hielten seine Arme fest, und Brzica zog das in seinem Ärmel verborgene Messer hervor und schnitt ihm mit einer schnellen Bewegung die Kehle durch. Danach wurde das Opfer auf die verborgene Falltür im Boden gestoßen, die Tür wurde geöffnet, und das bereits sterbende Opfer stürzte durch einen Schacht in den darunter liegenden Raum, wo es von weiteren Henkersknechten entsorgt wurde. Danach säuberten die Knechte des Scharfrichters die Falltür gründlich und schoben sie wieder in ihre Halterungen zurück. Die Mönche überprüften noch kurz, ob Anzeichen für einen Kampf zu sehen waren, und verließen dann den Raum durch eine auf den Flur führende Tür. Im Warteraum befand sich inzwischen das nächste Opfer mit seinen beiden Wärtern. Im düsteren Licht konnte das neue Opfer seinen Vorgänger nur schattenhaft sehen, der durch eine Seitentür verschwand. Und dann begann die ganze Prozedur von vorn.
    So ging es die ganze Nacht. Es gab nur eine einzige Unterbrechung, als eines der Opfer, offenbar ein wenig aufmerksamer als die anderen, schon im Warteraum spürte, dass etwas nicht stimmte. Als ihn seine Häscher am Haar und am linken Arm packten, versuchte er, sich ihnen zu entwinden, wobei er ihnen immer wieder aus den Händen glitt und ständig schrie, bis sich seine vier Mörder auf ihn warfen und ihn zu Boden pressten. Der Mann schrie und wehrte sich noch, während sie ihn in den Schacht stoßen wollten. Sie traten ihm auf die Hände, traten gegen seinen Kopf und konnten ihn endlich durch die Falltür in die untere Kammer werfen, wo ihm die wartenden Mönche den Todesstoß versetzten. Nicht einmal die dicksten Türen konnten die Schreie vollständig dämpfen, die bei diesem furchtbaren Todeskampf zu hören waren, und erreichten auch die Ohren des nächsten Opfers, das bereits im Flur wartete. Brzica trat selbst schnell in den Flur und erdolchte den verängstigten Mönch auf der Stelle, bevor er zu zetern anfangen konnte. Doch davon abgesehen verlief die ganze Sache nach Plan.
    Am nächsten Morgen um elf Uhr inspizierte der Stellvertretende Kerkermeister Bergeron die flüchtig gewaschenen Leichen, die man in der Rotunda aufgehäuft hatte. Von hier würden sie im Schutz der Nacht zum Ginky’s Field gebracht werden. Der Anblick des Leichenberges war ernüchternd, aber auch beeindruckend. Eine halbe Stunde später trat Bergeron vor einen leicht ungeduldig wirkenden Bosco, der gerade langweilige, aber komplizierte Dokumente durcharbeitete, in denen es um einen Streit wegen einer verdorbenen Lieferung Hartkäse ging.
    »Was gibt’s?«, fragte Bosco, ohne aufzublicken.
    »Die Exekutionen wurden genau nach Euren Befehlen ausgeführt, Bruder.«
    Bosco blickte auf, irritiert, weil ihm ein Gedankenfaden entglitt, den er bezüglich der Verantwortung für die verdorbene Käselieferung gehabt hatte.
    »Was?«
    In Bergerons Magen regte sich plötzlich ein grauenhaft flaues Gefühl, als würde er von einer heftigen Übelkeit gepackt.
    »Die Exekution der Gefangenen im Haus für Sonderbehandlungen.«
    Bergerons Stimme klang leiser als ein Flüstern. Er nahm die Liste mit den Namen heraus und deutete auf das letzte Blatt. »Hier– das Kreuz, mit dem Ihr am Ende der Liste den Befehl bestätigt habt.«
    Bosco riss ihm die Liste förmlich aus der Hand. Eine furchtbare innere Stille ergriff Besitz von ihm. Er betrachtete die Liste eine Weile. Seine Elite, seine sorgfältig ausgewählten Gauleiter: vernichtet, bis auf den letzten Mann.
    »Das Kreuz am Ende der Liste«, sagte er leise, »bedeutet nur, dass ich die Liste gelesen habe.«
    »Aha.«
    »Aha, in der Tat.«
    »Ich…«
    »Sag nichts. Du hast mir heute Morgen eine Katastrophe beschert. Und nun führe mich zu ihnen.«
    In seinem Zimmer blickte Cale geistesabwesend aus dem Fenster; seine Gedanken waren hunderte Meilen entfernt. Hinter ihm deckte ein Akoluth geräuschvoll den Tisch für Cales zweite Mahlzeit an diesem Tag. Sein Essen wurde wie für alle anderen Mönche von den Nonnen zubereitet. Außer Nahrung war ihm sonst keine Freude geblieben. Eine Ersatzfreude. Der Klosterschüler ließ eine der Abdeckhauben fallen; sie hüpfte ein paar Mal auf und ab, rollte durch das

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