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Die letzten Gerechten: Roman (German Edition)

Die letzten Gerechten: Roman (German Edition)

Titel: Die letzten Gerechten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Hoffman
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Zimmer und blieb vor seinen Füßen liegen. Der Schüler bückte sich hastig danach. Jetzt, aus der Nähe, blickte Cale ihn zum ersten Mal genauer an; er war mindestens so alt wie er selbst. Der Junge hob die Abdeckhaube vom Boden auf und erwiderte unsicher Cales Blick.
    »Dich kenne ich noch nicht«, sagte Cale.
    »Ich bin erst seit zehn Tagen hier. Ich komme aus Stuttgart.« Cale hatte erst neulich etwas über Stuttgart gelesen, in einem Almanach, den Bosco ihm gegeben hatte und in dem die trockensten Einzelheiten jeder einzelnen bewaffneten und befestigten Erlöserzitadelle verzeichnet war, deren Bevölkerungszahl fünftausend Seelen überschritt. Der Almanach umfasste zehn Bände, jeder hatte fünfhundert Seiten. Bosco zufolge war der Staatenbund des Erlöserordens zerbrechlich. Nach allem, was Cale im Almanach gelesen hatte, war er jedoch riesig, um ein Vielfaches größer, als er sich jemals vorgestellt hatte.
    »Warum?«, fragte Cale.
    »Ich weiß es nicht.«
    »Wie heißt du?«
    »Model.«
    Cale trat zum Tisch und setzte sich. Heute gab es Rührei, Toast, Hähnchenschenkel, Bratwürste, Pilze und Porridge. Er häufte sich eine Portion auf den Teller.
    »Ihr seid Cale, nicht wahr?«
    Cale gab keine Antwort.
    »Man sagt, Ihr selbst hättet den Papst vor den bösen Antagonisten gerettet.«
    Cale warf ihm einen Blick zu, dann aß er weiter. Model starrte ihn an. Er war hungrig, denn Klosterschüler waren immer hungrig, wie sie auch den größten Teil des Jahres vor Kälte zitterten. Aber es kam ihm nicht in den Sinn, dass der Mann am Tisch das Essen mit ihm teilen könnte. Manche der Gerichte kannte er nicht einmal. So ungefähr mochte einem hässlichen Alten eine wunderschöne Frau erscheinen– er durfte ihre Schönheit bewundern, konnte jedoch niemals darauf hoffen, sie zu besitzen. Aber obwohl Cale durch seine Gedanken abgelenkt war, konnte er die Mahlzeit nicht genießen, solange ein anderer Klosterschüler vor ihm stand.
    »Setz dich.«
    »Ich darf nicht.«
    »Doch, du darfst. Setz dich.«
    Model nahm Platz, und Cale schob ihm eine Schale Bratkartoffeln hinüber. Doch natürlich gab es da ein Problem. Cale nahm die Schale wieder an sich und schüttete die Bratkartoffeln mit Ausnahme einer einzigen auf seinen eigenen Teller. Model, der ihn voller Hunger und Verlangen beobachtet hatte, zog ein langes Gesicht.
    »Merk dir eins«, sagte Cale. »Wenn du zu viel von diesem Zeug isst, wirst du dir in fünf Minuten die Eingeweide aus dem Leib kotzen. Glaube es mir. Was gab man euch in Stuttgart zu essen?«
    »Porridge und Eintopf.«
    »Eintopf?«
    »Fett und Nüsse und Kartoffeln und solches Zeug.«
    »Heißt bei uns ›Eingeschlafene Füße‹.«
    »Oh.«
    Cale zog einem kleinen Stück Hähnchenfleisch die Haut ab und schabte das köstliche Gelee an der Hautunterseite ab. Er fügte noch ein bisschen Porridge dazu. »Probier mal, ob dir das schmeckt.«
    Und es schmeckte offenbar sehr gut, es ging herrlich, geradezu himmlisch durch die Kehle. Nicht einmal sein tiefer Zorn und seine Wut konnten verhindern, dass Cale dem Jungen voller Freude beim Essen zusah.
    Als Model endlich satt war, lehnte er sich zurück und blickte Cale wieder an.
    »Ich danke Euch.«
    »Gern geschehen. Und jetzt leg dich für fünf Minuten auf das Bett, mit dem Gesicht zur Wand, damit du mich nicht siehst, während ich fertig esse. Es würde dir sonst ein wenig seltsam vorkommen.«
    Model folgte seinem Befehl. Cale beendete sein Frühstück, ohne weiter an den Jungen zu denken.
    Plötzlich klopfte es an der Tür.
    »Geh«, rief Cale und gab dem erschreckt hochfahrenden Model ein Zeichen aufzustehen. Es klopfte erneut. Cale wartete ein paar Sekunden, dann rief er: »Herein.«
    Bosco trat ein.
    Zehn Minuten später standen beide Männer in der Rotunda und betrachteten schweigend die zweihundertneunundneunzig Leichen. Ein Berg von Leichen war alles, das von Boscos zehnjähriger Planung übrig geblieben war, durch die er das Ende der Welt hatte herbeiführen wollen.
    »Das wollte ich dir zeigen, denn es sollte keine Geheimnisse zwischen uns geben. Ich will nicht, dass du aus meinem Fehler lernst, denn ich habe keinen Fehler gemacht. Ich wünschte, es wäre so, denn dann könnte ich selbst daraus lernen. Aber dieser Fehler, wenn wir es so nennen wollen, ist einfach nur das, was es ist– ein Ereignis. Es gab einen Plan, sorgfältig überlegt und genauestens ausgedacht. Was du daraus lernen kannst, ist, dass es aus dieser Sache nichts zu lernen

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