Die letzten Gerechten: Roman (German Edition)
Man sagte, was natürlich eine Übertreibung war, dass die Folkkrieger im Sattel und mit dem Bogen in der Hand geboren würden. Der Grabenkampf der Ostfront konnte für den Kampf gegen diese Menschen auf diesem Terrain nicht als Modell dienen. Die Folkkrieger kämpften nicht in Heeren, sondern in kleineren Stoßtrupps, die hundert bis vierhundert Krieger umfassten, aber oft auch weniger und manchmal mehr. Wurden sie angegriffen, zogen sie sich einfach in das unendliche Veldt zurück. Gegen solche Taktiken war ein System von Schützengräben ungefähr so Erfolg versprechend wie ein Vorschlaghammer gegen eine Stubenfliege.
Im Laufe der Zeit war der Kampf zum vergessenen Krieg des Erlöserordens geworden. Der größte Teil des Heeres war durch den großen Zermürbungskrieg an der Ostfront gebunden. Aber selbst wenn sie mehr Erlösersoldaten unter Waffen gehabt hätten, wäre es ihnen schwergefallen, ihre zahlenmäßige Überlegenheit gegen einen so beweglich und geschickt agierenden Feind zu nutzen, der in einem Terrain kämpfte, das ihm bestens vertraut war und das er liebte. Hinzu kam, dass das Erlöserheer kaum jemals die Kavallerie einsetzte, die ohnehin nicht besonders gut war. Im direkten Kampf würde zwar ein Erlöserheer selbst ein zahlenmäßig weit überlegenes Folkheer besiegen. Aber die Folk boten ihm dazu nie eine Gelegenheit.
Weil sowohl der Papst als auch seine engsten Berater dem Krieg im Veldt geringe Bedeutung beimaßen, hatte man dem Kriegsmeister Bosco und dem Erlösergeneral Princeps größere Entscheidungsfreiheit bei der Entwicklung neuer Taktiken eingeräumt. An der Ostfront wären solche Freiheiten mit größtem Misstrauen beobachtet worden. Noch bevor Bosco und Princeps verzweifelt versucht hatten, Cale wieder einzufangen, und daher gezwungen gewesen waren, die Materazzi anzugreifen, hatten sie ihre Strategie für den Kampf gegen die Folk auf höchst dramatische Weise verändert: Sie hatten eine Kette von dreißig Frontfestungen bauen lassen. Allerdings handelte es sich dabei nicht um Forts im normalen Sinn des Wortes, also mit befestigten Mauern, Gräben und Schutzeinrichtungen, sondern um flexible, mobile Verteidigungsstellungen, die die strategisch wichtigsten Positionen auf dem Veldt beschützen sollten. Hinter dieser Kette sollten acht größere, konventionelle Forts errichtet werden, von denen aus die Frontpositionen versorgt und deren Besatzung bei den unvermeidlich zu erwartenden Angriffen leicht und schnell verstärkt werden konnten. Es war der originellste Plan in der Militärgeschichte des Erlöserordens. Leider hatte er wie alle großen Pläne den Nachteil, dass er in die Praxis umgesetzt werden musste. Da nun aber Princeps bei dem wichtigeren Angriff auf die Materazzi dringend benötigt wurde, musste die neue Taktik von seinem unerfahrenen und inkompetenten Stellvertreter umgesetzt werden. Dieser Mann verursachte eine furchtbare Krise. Statt eine große Anzahl von Erlösersoldaten in den Festungen zu verschanzen, damit sie ein Territorium verteidigten, das die Folkkrieger ohnehin nicht anzugreifen gedachten, schickte der Ersatzbefehlshaber seine Truppen auf das Veldt hinaus, wo ihnen keine ihrer militärischen Fähigkeiten etwas nutzte, hingegen all ihre Schwächen gnadenlos abgestraft werden konnten. Die Folge war, dass der bis dahin recht ereignislose Stellungskrieg bald in eine totale Niederlage umzuschlagen drohte. Die vorgerückten Abwehrstellungen wurden gnadenlos attackiert und schließlich vom Folkheer überrannt und eingenommen, wobei das Erlöserheer schwere und das Folkheer nur sehr leichte Verluste erlitten. Als die Erlöser versuchten, die Forts zurückzuerobern, erlitten sie erneut schwere Verluste. Aber da die Folkkrieger genau wussten, wann sie sich schnell zurückziehen mussten, blieben ihre Verluste immer sehr gering. Ein paar Wochen später zogen sie sich wieder zurück, nachdem sie die Forts angegriffen hatten, die am weitesten entfernt in Richtung Drakensberg lagen, und schon begann der ganze blutige Kampf erneut. Das heißt, blutig war er fast nur für die Erlösertruppen. Duffer’s Drift hatte sich dabei einen traurigen Ruf erworben, war es doch das wichtigste der Frontforts, das von den Folktruppen immer und immer wieder überrannt worden war.
Was aber war Duffer’s Drift? Man stelle sich ein großes U vor, das eine Flussschleife symbolisiert. Das Land innerhalb des U liegt zwanzig Fuß unter dem Niveau der umgebenden Landschaft, mit Ausnahme des
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