Die letzten Gerechten: Roman (German Edition)
schneide ich dir die Kehle durch.« Er stieg auf sein Pferd und ritt davon. Das Mädchen blieb im Wald zurück, neben dem keuchenden, pfeifenden Mann. Mag sein, dass er sich wenig ehrenhaft verhielt, als er die junge Frau allein auf der Lichtung zurückließ. Andererseits war es doch zumindest verständlich, denn seine einzige andere Erfahrung mit dem Retten junger Frauen aus der Bedrängnis hatte entsetzliche Folgen nach sich gezogen.
»Glaubt Ihr, er hat Recht?«, fragte Gil.
»Was glaubst du selbst?«, fragte Bosco zurück.
»Ich glaube, dass er sich irrt. Ich glaube auch, dass die Purgatoren genau das bekommen, was sie verdienen. Ihr Schicksal liegt in ihrem eigenen Wesen begründet. Wenn selbst Gott es nicht schaffte, ihre Herzen zu gewinnen, dann kann auch der Fleisch gewordene Zorn Gottes sie nicht mehr bekehren, gesegnet sei sein Name.«
»Wir können nur hoffen, Bruder, dass du Unrecht hast. Cale ist für jede Überraschung gut.«
»Jetzt weiß ich endlich, warum Ihr ihn nie geliebt habt.«
Beide lachten.
»Soll ich weitermachen?«, fragte Gil schließlich. »Ich meine mit dem Plan, in Bose Ikard zu investieren?« Bose Ikard war der Landvogt der Schweiz, nominell der zweite Mann nach dem berüchtigten König Zog der Schweiz, aber im Hinblick auf seine Macht nur sehr knapp auf dem zweiten Rang. Nach dem Zusammenbruch des Materazzi-Imperiums war Bose Ikard nun der mächtigste aller Regenmacher der Vier Quadranten. Er hatte nach Boscos und Gils Meinung den Fehler begangen, dem kläglichen Rest der geflohenen Materazzi Asyl in Spanish Leeds zu gewähren, was Bosco und Gil als feindliche Handlung ansahen. Allerdings war ihnen nicht bekannt, dass Bose Ikard die Aufnahme der Flüchtlinge ebenfalls für einen schweren Fehler gehalten, sich aber auf Grund eines hysterischen Wutanfalls König Zogs gezwungen gesehen hatte, den Materazzi die Flucht nach Spanish Leeds zu erlauben. Der Diplomatische Dienst des Erlöserordens hatte nicht besonders viel Ahnung, weder von Diplomatie noch von nachrichtendienstlichen Aktivitäten, deshalb hatte Bosco nur sehr begrenzten Zugriff auf irgendwelche Erkenntnisse des Dienstes. In der Tat hatte er keine Informationen darüber, dass Bose Ikard alles in seiner Macht Stehende getan hatte, um die Materazzi von der Schweiz fernzuhalten. Schließlich hatte er ihnen zwar Asyl gewähren müssen, ihnen jedoch weder Geld noch sonstige Unterstützung zuteilwerden lassen oder auch nur angeboten. Er hoffte, sie durch fehlende Hilfeleistung so weit aushungern zu können, dass sie schließlich von selbst irgendwo anders hinzogen und für ihn kein Problem mehr darstellten. Verständlicherweise wollte er nicht, dass ihre Anwesenheit den Erlösern einen Vorwand lieferte, ihm nun ihrerseits Schwierigkeiten zu machen. Bosco jedoch war Ikards Zurückhaltung gegenüber den Materazzi unbekannt; er sah nur, dass Ikard die Materazzi offenbar gastfreundlich behandelte, und zog daraus Schlussfolgerungen hinsichtlich der Haltung Ikards gegenüber den Erlösern. Bosco hielt es deshalb für eine gute Idee, Ikard ermorden zu lassen und stärker auf Zogs Karte zu setzen– auch als Warnung für alle, die vielleicht planten, den Materazzi Unterschlupf zu gewähren, oder die aus irgendwelchen Gründen die Erlöser nicht mochten.
»Nein. Wir müssen seinen Tod noch etwas aufschieben, bis… nun, jedenfalls um ein paar Monate– bis wir erkennen können, ob es Cale gelingt, die Purgatoren auf unsere Seite zu ziehen.«
»Ein Aufschub wäre riskant.«
»Sofortiges Handeln auch. Wir befinden uns mitten in einem reißenden Fluss. Weiterschwimmen ist ebenso gefährlich wie umkehren. In der Zwischenzeit plane ich, Cales Namen und Ruf so weit wie möglich zu verbreiten. Ich möchte, dass du ihn zu Duffer’s Drift bringst.«
»Warum?«
»Weil er das Problem lösen wird.«
»Ihr scheint da sehr sicher zu sein.«
»Bring ihn zum Drift, dann wirst du selbst sehen. Offenbar hast du weniger Vertrauen in die Macht der göttlichen Erbitterung, als du haben solltest.«
» Mea culpa, Bruder.«
Bosco schnaubte, offenbar verstimmt über Gils Mangel an Eifer.
»Und was wird aus Hooke?«
»Sosehr es mich auch stört, mir mein Handeln von Gant aufnötigen zu lassen, müssen wir doch jede Provokation vermeiden, bis Cale Erfolg hat oder scheitert. Wenn Hooke schon sterben soll, müssen wir daraus ein großes Ereignis machen. Und wir müssen die Erniedrigung hinnehmen, ob wir wollen oder nicht, indem wir das Ereignis
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