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Die letzten Gerechten: Roman (German Edition)

Die letzten Gerechten: Roman (German Edition)

Titel: Die letzten Gerechten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Hoffman
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ausmachen. Eine Stunde später, als die Sonne schon höher am Himmel stand, zog Gil ihn am Arm und deutete auf eine Staubwolke, die sich vom Norden her an der Seite des Tafelbergs entlang näherte, der vor dem Drift lag. In der Staubwolke wurde allmählich ein großer Trupp Folksoldaten erkennbar, berittene Soldaten, die vier Wagen mit sich führten und geradewegs auf den Drift zuhielten. Zunächst schien es, als würden sie mitten durch den Drift reiten wollen. Das wäre ein Manöver von aberwitziger Dummheit gewesen, aber nach all den militärischen Dummheiten, die er am Silbury Hill hatte mit ansehen müssen, glaubte er tatsächlich einen Moment lang, der Stoßtrupp würde genau das tun.
    Doch dann hielten sie ungefähr vierhundert Schritte entfernt an. Zehn Minuten lang geschah nichts, dann teilte sich der Trupp in zwei Hälften– eine Einheit ritt nach Osten am Flussufer entlang, die andere wandte sich nach Westen. Eine kleine Anzahl von Soldaten kehrte mit den Planwagen um und zog sich hinter den Tafelberg zurück. Cale konnte sie nicht weiter beobachten, obwohl es ihm wichtig erschien. Denn etwas stimmte nicht mit den Wagen– sie waren bedeckt, hatten aber eine eigenartige Form. Die Erlöser in ihren Gräben mussten auf den Angriff warten. Fast eine Stunde verging, dann zupfte ihn Gil erneut am Ärmel. »Schaut doch mal, Meister– dort auf der Hügelspitze steht ein Soldat.« Er deutete auf eine flache Stelle, die sich vom Kamm des Tafelbergs herab erstreckte. Cale betrachtete durch das Fernrohr die Wagen, die nun mehrere hundert Fuß jenseits vom Drift standen. Drei der Wagen waren abgedeckt worden, aber er konnte alles nur verschwommen sehen, da das Fernrohr auf diese Entfernung nicht sehr gut war. Immerhin konnte er eine Art von Gerüst mit Seilen erkennen; obwohl ihm die Form und Funktion nicht bekannt waren, hielt er die Geräte für eine Art Katapult. Er reichte Gil das Fernrohr, der meinte, es handle sich um Ballisten, ein Wurfgeschütz, das die Antagonisten an der Ostfront häufig einsetzten.
    »Nie davon gehört«, sagte Cale.
    »Es funktioniert wie eine verbesserte Armbrust, nur viel größer. Vor ungefähr neun Monaten benutzten sie die Waffe für eine Weile, aber sie ließ sich nur gegen Bergbefestigungen sinnvoll einsetzen, und davon gibt es an der Ostfront nicht sehr viele. Ich verstehe nicht, warum sie die Waffen hierher geschafft haben.«
    Sie mussten nicht lange warten, bis sie ihre erste Überraschung erlebten. Nach fünf Minuten hektischer Aktivität waren die Ballisten einsatzbereit– doch statt den zehn Fuß langen Bogen auf die Gräben am Drift zu richten, zielten alle drei steil in die Luft. Als sie abgeschossen wurden, schnellten die mächtigen Bögen die riesigen Bolzen in die Höhe, aber in einem leichten Winkel. Ein durchdringendes Kreischen klang herüber.
    »Sie befestigen einen Heuler an den Bolzen«, erklärte Gil. »Das Heulen geht einem wirklich durch Mark und Bein.«
    Die heulenden Pfeile schossen in die Höhe, flogen dann in einem weiten Bogen herüber und schlugen schwer im gelben Gras neben den Schützengräben auf, als regneten sie aus den Wolken herab. Während der nächsten zwanzig Minuten wurden die Ballisten immer wieder probeweise abgefeuert, um die Ziele besser zu treffen, bis zwei von drei Pfeilen tatsächlich in die Gräben einschlugen. Vereinzelt waren Schreie zu hören, offenbar hatten einige Pfeile ein Ziel gefunden. Aber da diese Kampftechnik den Folksoldaten nicht vertraut war, glaubte Cale nicht, dass sie damit den Kampf gewinnen würden.
    Wieder trat eine Pause ein, dann schallte erneut das metallische »Peng!« der Ballisten herüber, die ihre Pfeile abschossen, dieses Mal jedoch sah es anders aus und klang auch anders. Die riesigen Pfeile hatten schon fast die Hälfte der Entfernung zurückgelegt, bis der Lärm des Schusses über Cale und Gil hinwegrollte. Und der Lärm klang sehr viel tiefer. Die Pfeile erreichten den Scheitelpunkt ihrer Flugbahn, und ihre Spitzen wandten sich zur Erde. Selbst mit bloßem Auge sah der Schaft viel dicker aus, und Cale fummelte hastig am Fernrohr, um sich eines der Geschosse mitten im Flug näher ansehen zu können. Gerade als er es darauf fokussiert hatte, platzte der Schaft auf, und ein Dutzend kleinerer Pfeile trennten sich sanft voneinander und vom Schaft, bildeten eine lose Gruppe und regneten auf die Schützengräben hinab. Einschläge waren zu hören, dann die Schmerzensschreie mehrerer Männer. Und schon wurde

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