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Die letzten Gerechten: Roman (German Edition)

Die letzten Gerechten: Roman (German Edition)

Titel: Die letzten Gerechten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Hoffman
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Sonnenuntergang, der sich auf ihrem Gesicht abspielte. Die Bewunderung wurde weggewischt, jetzt traten echte Tränen in ihre Augen. Selten war sich Kleist so gemein vorgekommen.
    Sie hob drohend das Messer, das sie bei ihrer dankbaren Umarmung heimlich aus Kleists Gürtel gezogen hatte.
    Auf Kleists Gesicht spiegelten sich solches Erstaunen und solche Wut zugleich, dass es direkt komisch wirkte; die junge Frau brach in helles Gelächter aus.
    Kleist wurde rot vor Wut, worüber sie nur noch mehr lachen musste. Er trat einen Schritt vor, schlug ihr das Messer aus der Hand und versetzte ihr eine schallende Ohrfeige. Sie stürzte wie ein Sack Kohle zu Boden und schlug heftig mit dem Kopf auf. Kleist hob das Messer auf, wobei er sie keine Sekunde aus den Augen ließ. Dann richtete er sich wieder auf und suchte den Waldrand ab. Die Sache hier lief allmählich aus dem Ruder. Die junge Frau setzte sich auf, jetzt offenbar schockiert, mit blutender, schmerzender Nase.
    »Jetzt musst du eben mit der anderen Gesichtshälfte lachen«, empfahl ihr Kleist.
    Sie gab keine Antwort. Er wandte sich ab und setzte seine Suche nach seinen eigenen Sachen fort und allem, das er leicht tragen konnte. Der Mann neben dem Feuer stöhnte nach wie vor, und auch das pfeifende Geräusch war noch nicht verstummt.
    Die junge Frau begann zu weinen. Kleist suchte weiter. In einem Bündel, das offenbar Lord Dunbar gehört hatte, fand er sein Geld. Ansonsten entdeckte er wenig Brauchbares. Als Räuberbande waren die Männer wohl nicht sehr erfolgreich gewesen. Und sie besaßen nur drei Pferde, darunter das Tier, das sie Kleist weggenommen hatten. Das Mädchen weinte immer lauter und hemmungsloser. Zusammen mit dem Stöhnen und Pfeifen des Mannes neben dem Feuer fand Kleist den Lärm allmählich unerträglich. Aber dafür gab es noch einen anderen Grund.
    Die Tränen eines Weibes wirken auf die Seele des Mannes wie ein Elixier, hatte ihm Bruder Fraser einmal erklärt . Ein weinendes Weib kann mit seinen manipulierenden Tropfen die Vernunft eines Mannes vollständig auflösen.
    Damals war ihm dieser Ratschlag von ziemlich zweifelhaftem Wert erschienen, besonders angesichts der Tatsache, dass er nach seiner Erinnerung noch nie eine Frau zu sehen bekommen hatte. Obwohl sein Erfahrungshorizont im Hinblick auf Frauen während seiner Zeit in Memphis beträchtlich erweitert worden war, nutzten ihm diese Erfahrungen nichts, wenn es um Tränen ging, denn die Huren in Kitty-Town machten sich nicht viel aus Tränen.
    »Hör auf damit!«, befahl er ihr.
    Sie reduzierte ihr Jammern tatsächlich zu einem leisen Quengeln und einem gelegentlichen tiefen Schluchzen.
    »Was zum Teufel hast du bei diesen Banditen zu suchen?«, fragte er.
    Sie brauchte eine Weile, bis sie ihre feuchten Gefühlswallungen genügend unter Kontrolle brachte, um antworten zu können.
    »Sie haben mich verschleppt«, sagte sie schließlich, was nicht stimmte, oder jedenfalls nicht ganz stimmte. »Und außerdem haben mich alle vergewaltigt.« Während Kleists Zeit in Memphis hatte er dieses Wort schon mal gehört. Damals hatte er viele anscheinend sehr unterhaltsame Geschichten über Vergewaltigungen gehört und noch mehr Gelächter ausgelöst, als er um nähere Erklärungen gebeten hatte. Die Antworten hatten ihn schockiert; er fand die Sache abstoßend. Es war klar, dass die junge Frau log, aber dennoch wirkte sie so verzweifelt, wie selbst Kleist es erwartet hätte. Andererseits hatte sie ihn gerade eben ausgelacht.
    »Wenn das wahr ist, tut es mir leid.«
    »Gibt mir eins von den Pferden.«
    »Das würde bedeuten, dass du mich verfolgen kannst. Die Antwort lautet nein.«
    »Du kannst das beste Pferd nehmen. Die anderen sind nur Schindmähren.«
    Damit hatte sie Recht.
    »Ich könnte sie in der nächsten Ortschaft verkaufen. Warum sollte ich dir ein Pferd schenken– dir, einer Diebin? Oder noch was Schlimmeres.«
    »Beide haben Brandzeichen. Wenn du versuchen würdest, sie zu verkaufen, würden sie dich als Pferdedieb aufknüpfen.«
    »Du scheinst dich damit ja sehr gut auszukennen«, sagte er, während er seine jetzt prall gefüllte Tasche an den Sattel hängte.
    »Bitte, zwei von ihnen laufen noch frei herum.«
    »Aber einer wird niemandem besonders schnell folgen können. Jedenfalls nicht für eine Weile.«
    »Aber der andere.«
    »In Ordnung. Und jetzt hältst du endlich die Klappe. Aber du gehst in diese Richtung.« Kleist deutete nach Westen. »Sollte ich dich jemals wiedersehen,

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