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Die letzten Gerechten: Roman (German Edition)

Die letzten Gerechten: Roman (German Edition)

Titel: Die letzten Gerechten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Hoffman
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Gebirge war eine Anhäufung von Kalksteinfelsen, zerfurcht von tiefen Schluchten, jäh aufragenden, unbezwingbaren Felswänden und entsprechenden Abgründen. Überall waren die hohen Felsen von fast unsichtbaren Nischen übersät, die hervorragende Verstecke boten, aber auch Gelegenheit, sich unbemerkt für einen Angriff zu sammeln. Von hier aus störten die Klephts den Handelsverkehr durch Raubüberfälle, Diebstahl, Hehlerei, Enteignung, Beschlagnahme oder überhaupt durch jede nur denkbare Art und Weise, Menschen um ihre Güter oder Besitztümer zu erleichtern, denen sie gerade noch die Kleider ließen, die sie auf dem Leib trugen– und manchmal nicht einmal diese. Bei den benachbarten Volksstämmen waren die Klephts berüchtigt, während sie selbst sich nur von den Molossern hinreichend genervt fühlten, um sich die Mühe zu machen, sich ihren Stammesnamen zu merken. Ansonsten hatten sie keine Ahnung, wie die übrigen reichen und ehrwürdigen Kulturvölker hießen, die sie ständig beraubten. In der Tat war die Vorgehensweise der Klephts im Hinblick auf Diebstahl und Raub bei den umliegenden Völkern so verrufen, dass man bald jeden als »Klephtomanen« bezeichnete, der gewohnheitsmäßig Diebstahl betrieb. Von Zeit zu Zeit kam es vor, dass die übrigen Hügelstämme beschlossen, die raffgierigen und überhaupt höchst lästigen Klephts nicht mehr tolerieren zu wollen. Dann schlossen sie sich zusammen und führten eine Strafexpedition mitten in das labyrinthartige und unzugängliche Gebiet der Quantocks durch.
    Keine drei Wochen, nachdem Kleist von Daisy in das Herz der Quantocks gebracht worden war, erhielt er einen ersten Eindruck ihrer, wie ihm schien, höchst ungewöhnlichen Kriegsführung. Er hatte nicht die Absicht, sich als Freiwilliger zu melden, und war wütend gewesen, als Daisy geprahlt hatte, mit welch heldenmütiger Brutalität er Lord Dunbar und dessen Männer ausgeschaltet hatte. Seit Memphis hatte er es sich zum Prinzip gemacht, den Mund über alles zu halten, was er zu bieten hatte und was anderen nützlich sein könnte, und befahl ihr, in Zukunft genau dasselbe zu tun.
    »Warum denn?«, fragte sie verblüfft.
    »Weil ich nicht will, dass sie mich in die Vorhut stecken, um zuzuschauen, wie ich Barnabas der Berserker spiele.«
    »Du machst dir zu viele Sorgen.«
    »Genau deshalb bin ich noch am Leben.«
    »Niemand wird dich um irgendwas bitten. Das hat nichts mit dir zu tun.«
    »Genau– merk es dir.«
    Vier Tage später und auf persönliche Einladung von Daisys Vater saß er auf der Spitze eines hohen Kalksteinfelsens, der, wie er vorher überprüft hatte, zahlreiche Fluchtmöglichkeiten bot. Daisy hockte neben ihm, aufgeregt, aber nicht nervös. Sie blickten in ein Tal hinunter, das ungefähr achthundert Fuß breit war und durch das die Klephts eine grobe Bruchsteinmauer gebaut hatten. Ungefähr fünfhundert Klephts lagen in Stellung, spazierten auf und ab, redeten, lachten und benahmen sich überhaupt so, als müssten sie sich um nichts in der Welt sorgen. Am anderen Ende des Tals war ein etwa tausendköpfiges Heer von Molossern aufmarschiert. Sie warteten etwa eine halbe Stunde, dann rückten sie in geschlossener Formation vor, und ihre Speere und silbernen Schilde funkelten in der Sonne. Etwa zweihundert Schritt vor der Mauer hielt die Streitmacht an, und das war ungefähr der Zeitpunkt, zu dem die Klephts zum ersten Mal ernsthaft die Anwesenheit der Feinde zur Kenntnis nahmen. Dies bestand hauptsächlich darin, dass sie Beleidigungen über die Mauer brüllten, die in blütenreichen Beschreibungen der Sexualpraktiken der Molosser mit Tieren gipfelten oder sich auf die Hässlichkeit ihrer Mütter und die Verderbtheit ihrer Weiber und Töchter bezogen. Besonders die beiden letzten Punkte schienen die Molosser in geradezu hysterische Wut zu versetzen. Manche wurden von ihrer Trauer über die Schmähungen ihrer Ehre überwältigt und brachen in Tränen aus, andere knieten nieder und streuten sich Erde über die Köpfe. Aber irgendwann wurde die Sache recht eintönig. Hinter dem einen Ende der Mauer brüllte ein Dutzend Klephts immer nur einen Namen: » FATIMA !«, woraufhin eine Hand voll Klephts, die auf der anderen Talseite hinter der Mauer standen, antwortete: » TREIBT ES HINTER DEM STALL !« Dann schallte es: » AIDA !«, gefolgt vom Chorus: » TREIBT ES MIT DREIEN GLEICHZEITIG !« Aber die stärkste Reaktion löste ein Spruch aus, den Kleist für am wenigsten beleidigend hielt: » NASRULA

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