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Die letzten Gerechten: Roman (German Edition)

Die letzten Gerechten: Roman (German Edition)

Titel: Die letzten Gerechten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Hoffman
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oder vom Quantocksgebirge gehört hatte, war er doch früher schon Leuten vom ständig schlecht gelaunten und misstrauischen Stamm der Molosser begegnet, die in den Ausläufern der Quantockshügel lebten. Er hatte sie einmal in Memphis gesehen, doch hatte man ihn gewarnt, sich von ihnen fernzuhalten, vor allem von den paar Frauen, die sie mitgebracht hatten, um die Teppiche der sehr reichen Leute zu reparieren und ihnen Entwürfe für neue Teppiche zu zeigen. »Kommst du einer ihrer Frauen zu nahe, bringen dich die Männer um, und wenn es sie selbst das Leben kostet. Und wild wie sie sind, werden sie dann auch gleich die Frau umbringen, nur um ganz sicherzugehen.«
    Zu seinem Entsetzen hatte Daisy genickt und erklärt, das stimme wohl, und es sei sogar noch sehr wohlwollend ausgedrückt.
    »Molosser sind Fanatiker, sie sind bösartig, verschlagen und durch und durch schlecht. Sie hassen ihre Frauen und behandeln sie wie Hündinnen, und ihre Religion verflucht sie ebenfalls. Die Männer leben in ständiger Angst, dass ihre Frauen Lügnerinnen und Schlampen seien, deshalb hat ihnen ihr Gott befohlen, dass die Frauen und Töchter die Ehre der Männer immer in einer Kapsel in ihrer Leber mit sich tragen müssen, und wenn sie die Ehre einmal beschmutzen, gibt es für den Mann nur eine Möglichkeit, seine Ehre wiederzuerlangen: Er muss die Frau töten und von vorn anfangen. Kannst du dir das vorstellen? Selbst wenn eine Frau vergewaltigt wurde, erdrosseln sie die Arme. Widerlich!«
    »Und die Klephts sind nicht so?«, fragte Kleist besorgt.
    »Um Himmels willen, nein!«
    »Warum?«
    »Erstens sind wir nicht so verrückt wie sie und zweitens, weil wir vor tausend Jahren in die Quantocks kamen und die Molosser verjagt haben.«
    »Also seid ihr so ähnlich wie die Materazzi– ihr macht euch nicht besonders viel aus Religion?«
    »O nein– wir sind sehr religiös.«
    Das war ein Tiefschlag.
    »Wie sehr?«, fragte er fast schon mutlos.
    Obwohl sie beteuerte, dass der Glaube den Klephts wichtig sei, konnte er mit ihrer Beschreibung nicht viel anfangen. Soweit er sehen konnte, ließen sich die Klephts von ihrem Glauben nicht besonders behindern. Es schien dabei hauptsächlich um die Folgen zu gehen, die man zu erwarten hatte, wenn man reine oder unreine Tiere aß, die nach Kleists Meinung sowieso niemand essen wollte. Zum Beispiel war es streng verboten, Fledermäuse zu essen oder jede Art von Getier, das sich kriechend oder schlängelnd fortbewegte. Aß man eine Spinne, so war man zwei Wochen lang unrein, und würde Kleist in Versuchung geraten, was nicht der Fall war, sich wieder seinen früheren Metzgerkünsten zu widmen, so wäre ein halbes Jahr Verbannung die Folge. Von Gott hatten sie eine sehr distanzierte Vorstellung. Die Klephts redeten von ihm wie von einem reichen Onkel, der zwar wohlwollend sein mochte, aber jedes Interesse an den Alltagsproblemen seiner Familie verloren hatte. Kleist selbst konnte jedoch die Schuldgefühle nicht abschütteln, dass er Vague Henri und, was allerdings weniger wichtig war, auch IdrisPukke im Stich gelassen hatte. Seine Vernunft sagte ihm, dass er jedes Recht der Welt gehabt hatte, sein Leben nicht für andere Leute aufs Spiel setzen zu müssen, die ihn nicht einmal gefragt hatten, ob er überhaupt bereit war mitzukommen. Andererseits war ihm aber auch eins klar: Hätte er sich so sehr im Recht gefühlt, dann hätte er sich nicht wie ein Dieb mitten in der Nacht davonschleichen müssen. In Bezug auf Cale verspürte Kleist keinerlei Schuldgefühle.
    »Und was ist mit uns beiden? Was meinst du?«
    »Ich bin keine Kuh«, sagte sie. »Ich bin nicht Eigentum meines Vaters. Er ist ein zivilisierter Mann. Er wird dir danken, dass du mir geholfen hast.«
    Und so war es auch. Aber obwohl sie ihn willkommen hießen, fühlte sich Kleist nicht völlig wohl, denn er begriff einfach nicht, wie und was die Klephts über die Welt dachten. Das lag zum einen daran, dass er die Mentalität der Erlöser weit besser verstand, weil er sehr lange Zeit bei ihnen gelebt hatte. Zum anderen hatte er geglaubt, auch die Mentalität der Materazzi schon nach wenigen Wochen begriffen zu haben. Und Memphis war von allen möglichen Rassen und Leuten aus aller Welt bevölkert gewesen. Aber keine Begegnung selbst mit Angehörigen der seltsamsten Volksstämme in Memphis hatte ihm ein solches unbestimmtes Gefühl gegeben, dass ihm irgendeine wichtige Erkenntnis entging, wie das hier in den Quantocks der Fall war. Das

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