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Die letzten Gerechten: Roman (German Edition)

Die letzten Gerechten: Roman (German Edition)

Titel: Die letzten Gerechten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Hoffman
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dass dies auch nach seiner Erfahrung stimmte. Und Männer taten noch viel Schlimmeres als nur herumzubrüllen.
    »Wir haben auch Meister Cale gebeten herumzubrüllen, aber er meinte, das sei keine sehr gute Idee.«
    »Damit hat er wahrscheinlich Recht.«
    »Aber Ihr tut es doch? O bitte, bitte.«
    Sie baten ihn so lieb darum, dass sich Henri gemein vorgekommen wäre, wenn er ihre Bitte nicht erfüllt hätte, obwohl er sich dabei recht eigenartig vorkam. Fünf Minuten später hockte er in einer Ecke und weinte erbärmlich, während die Mädchen, nun selbst verwirrt und blass, auf ihn hinabblickten. Sie waren zutiefst erschüttert von dem Gefühlssturm, der aus dem jungen Mann herausgebrochen war und der nun hemmungslos vor ihnen weinte.
    Nach etwa zehn Minuten war der Weltschmerz vorbei, und die Mädchen halfen Henri auf die Füße.
    »Tut mir leid«, sagte er immer wieder, »tut mir leid.«
    »Beruhigt Euch. Alles wird gut«, sagte Judith.
    »Ja«, nickte Annunziata. »Alles wird gut.«
    Sie führten ihn zu einem der beiden großen Holzblöcke in der Mitte, zogen ihm Hemd und Hose und Socken aus. Als sie ihm den Lendenschurz ausziehen wollten, leistete er schwachen Widerstand, aber die Mädchen erklärten, »Wir müssen Euch waschen«, in einem Tonfall, als handelte es sich um ein unverletzliches göttliches Gesetz. Inzwischen war er zu müde, um sich noch länger zu wehren. Die Mädchen seufzten, als sie seine alten Narben und die neuen Wunden und Blutergüsse sahen, die von den Schlägen stammten, die man ihm zugefügt hatte, als man ihn im Wehr Nummer zwei gefunden hatte. Sie erkundigten sich so mitfühlend danach, woher er die Wunden hatte, dass er beinahe wieder zu weinen angefangen hätte.
    »Ich bin auf einem Stück Seife ausgerutscht«, sagte er und musste so sehr über den eigenen Scherz lachen, dass er sich fast nicht mehr beherrschen konnte. Die Mädchen merkten, dass er es ihnen nicht sagen würde; sie holten heißes Wasser und Seife herbei. Ihnen war klar, dass die Sache mit der Seife nicht stimmen konnte, denn es war offensichtlich, dass er seit geraumer Zeit keine Seife mehr zu sehen bekommen hatte. Judith übergoss ihn vorsichtig und langsam von Kopf bis Fuß mit warmem Wasser, während Annunziata seinen Körper mit einem großen schaumigen Lappen wusch, wobei sie äußerst genau darauf achtete, nicht zu sehr auf seine Wunden zu drücken. Eine Stunde lang wuschen und schrubbten und pflegten sie seinen wunden Körper, so sanft und mit so viel Geschick, dass er mitten in der Prozedur einschlief und nicht einmal aufwachte, als sie fertig waren. Er wachte auch nicht auf, als sie ihn wie ein Baby bis zur letzten Ritze trockneten, mit feinem Talkumpuder aus den Kreidefelsen von Meribah einpuderten und schließlich sanft duftendes Aprikosenöl auftrugen. Schließlich deckten sie ihn mit warmen Tüchern zu und ließen ihn weiterschlafen. Erst spät am Abend wachte er wieder auf, als die Mädchen zurückkamen, ihn zum Esssaal brachten, wo sie ihm noch einmal ein reichhaltiges Essen bereiteten und ihn über sein Leben in der Außenwelt befragten. Er sah keinen Grund, ihnen unangenehme Dinge zu erzählen, und wollte es auch nicht. Stattdessen erzählte er ihnen von seinem Leben in Memphis. Voller Staunen und Entzücken lauschten die Mädchen jedem Wort, als er ihnen von den traumhaft hohen Türmen, den belebten Märkten, den goldbehaarten jungen Menschen erzählte– den großen Männern, den Frauen, die wie Schneeköniginnen waren. Und während Vague Henri aß und trank und bei diesen beiden wunderschönen Mädchen saß, die ihm jedes Wort von den Lippen saugten, schien es ihm, dass er solche Stunden wohl nie mehr erleben würde. Aber die erfreulichen Annehmlichkeiten waren noch nicht zu Ende. Denn die Mädchen hatten, als ihre Neugier wenigstens vorläufig befriedigt war, noch weitere Dienstleistungen für ihn vorgesehen . Aber diese sollen hier nicht beschrieben werden.

VIERZEHNTES KAPITEL
     

    N
ur Gott und die Mädchen können dich um deiner selbst willen lieben«, sagte Cale zu Henri, nachdem dieser zwei Wochen lang wie ein kostbarer Pokal von einem Mädchenpaar zum nächsten weitergereicht worden war. »Die armen Dinger kennen einfach nichts anderes.«
    »Umso mehr ein Grund, es zu genießen, solange es noch zu haben ist.«
    Dem konnte man kaum widersprechen. Eine der jungen Frauen, die eines Nachts mehr Wein getrunken hatte, als sie vertragen konnte, hatte ihm gegenüber ausgeplaudert, dass er im

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