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Die letzten Gerechten: Roman (German Edition)

Die letzten Gerechten: Roman (German Edition)

Titel: Die letzten Gerechten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Hoffman
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versagt hatte; daher verriet er nicht, dass er den Fuchs unter dem Hemd versteckt hielt, und duldete lieber, dass ihm der Fuchs die Eingeweide zerfleischte, bis er ohne einen Ton tot umfiel. Wer die Lakonier nicht kannte und diese Geschichte völlig unplausibel fand, wurde eines Besseren belehrt, sobald er das Volk kennen gelernt hatte.
    Die berüchtigte schwarze Suppe, die in dem Schmählied beschrieben wird, wurde aus Schweineblut und Essig gekocht. Ein Diplomat aus Duena, der übrigens wie ein Söldner für irgendwelche Verhandlungen mit den Lakoniern angeheuert worden war, probierte das Gebräu und sagte zu seinen Gastgebern, es schmecke so abscheulich, dass es erkläre, warum sie so sehr bereit seien zu sterben. Wie solche Scherzbolde es gerne tun, wiederholte er diesen Spruch auch in Bezug auf die Materazzi, allerdings ging es dabei nicht um eine Suppe, sondern um deren schwer zufrieden zu stellende Frauen. Der Unterschied zwischen den Lakoniern und den Materazzi bestand nun aber darin, dass Letztere den Scherz ausgesprochen witzig fanden. Eine weitere Seltsamkeit im Hinblick auf die Schwarze Suppe ist besonders aufschlussreich: Obwohl der Geschmack kaum besser sein konnte als ranziges Fett, gemischt mit dem Satz von »Eingeschlafenen Füßen«– ohne Schaudern konnten Cale, Kleist und Vague Henri an dieses widerliche Zeug nicht auch nur denken–, sahen die Lakonier die Schwarze Suppe bekanntlich als Manna vom Himmel an, und ins Ausland verbannte Lakonier verzehrten sich vor Sehnsucht nach ihr wie nach nichts anderem.
    Es ist durchaus denkbar, dass der geehrte Leser angesichts dieses ausgeprägten Humors zu einem milderen Urteil über die Lakonier gelangt; möglicherweise wird er sie deshalb sogar den fanatischen und grausamen Erlösermönchen oder den arroganten und snobistischen Materazzi vorziehen. Daher müssen wir nun doch auch die dunkelste und widerlichste Praxis dieses seltsamsten aller Völker der Erde ansprechen. Denn während jedes rechtschaffene Volk den Sexualverkehr zwischen männlichen Erwachsenen und kleinen Jungen für ein Verbrechen ansieht, für das die Rache des Himmels herabgerufen und die Todesstrafe über die Übeltäter– je grausamer, desto besser– verhängt werden müssen, wurden solche Praktiken bei den Lakoniern nicht nur toleriert, sondern sogar durch Gesetz erzwungen. Jeder ältere Mann, der einen Zwölfjährigen nicht entsprechend missbrauchte, wurde schwer für sein Versäumnis bestraft, ein gutes Beispiel für männliche Tugenden zu geben.
    Es ist schwer festzustellen, wie diese besonders abscheuliche alte Tradition zu Stande kam. Denn wie berichtet wird, pflegten die Lakonier auch ihre Mütter in höchsten Ehren zu halten. Sie räumten ihnen sogar das Recht ein, die Männer, gleich welchen Ranges, nach Strich und Faden zu beleidigen und Besitztümer zu erben– eine Sitte, die die Nachbarvölker in höchstem Maße abstieß und für die sie oftmals heftiger kritisiert wurden als für ihr Brauchtum der gesetzlich vorgeschriebenen Päderastie.
    All diese Informationen erhielt Cale von Bosco in der Form eines beschlagnahmten Testaments, über das ihm striktes Stillschweigen auferlegt wurde. Aber ein Abschnitt des Dokuments, der offenbar schon früher als alle anderen Teile verfasst worden war, erregte Cales Aufmerksamkeit in besonderem Maße, und das war auch der Grund, warum er darüber mit Henri sprechen wollte. Der Abschnitt betraf eine Aussage, die ein verbannter lakonischer Soldat gemacht hatte. Dem Dokument zufolge gab er bei der Befragung anscheinend zuverlässige Informationen über den sogenannten Krypteia– einen kleinen, aber ganz besonders geheimen Geheimdienst, der, wie er aussagte, aus »Anti-Soldaten« bestehe. Diese »Anti-Soldaten« würden aus den grausamsten und erbarmungslosesten jungen Lakoniern ausgewählt. Sie wurden einem harten Training unterworfen, damit sie genau jene Qualitäten entwickelten, die man den normalen Soldaten schon während ihrer Kindheit und Jugend ausgetrieben hatte, damit sie auch weiterhin ohne Rücksicht auf ihr eigenes Überleben kämpften: nämlich selbstständig zu denken und zu handeln.
    »Ich frage mich«, sagte Cale zu Henri, »ob Bosco seine Idee für mich aus dieser Quelle nahm?«
    »Und ich frage mich«, gab Henri zurück, »ob du, wenn du noch aufgeblasener wirst, überhaupt noch durch eine Tür passt. Aber selbst wenn du Recht hättest, solltest du wirklich gottfroh sein, dass das die einzige Idee war, die er von den

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