Die letzten Gerechten: Roman (German Edition)
Lakoniern übernahm.«
Cale verzog bei dieser Anspielung angewidert das Gesicht.
SECHZEHNTES KAPITEL
I
ch will mit der Maid vom Amselfeld sprechen.« Cale rechnete absolut sicher damit, dass Bosco ablehnen würde. Bosco jedoch fiel plötzlich wieder ein, dass die destruktive Seele seines Fleisch gewordenen Gotteszorns noch immer im Körper eines Pubertierenden wohnte. Es verschaffte ihm enorme Befriedigung, Cales Erwartung nicht erfüllen zu müssen.
»Aber selbstverständlich«, antwortete er gelassen.
Verblüfftes Schweigen auf Cales Seite– noch mehr Befriedigung für Bosco.
»Jetzt sofort.«
»Wie du wünschst.« Bosco griff nach einem Stapel Pergamente, auf denen bereits sein Siegel prangte, und begann zu schreiben.
»Und ich will sie allein besuchen.«
»Ich habe nicht das geringste Verlangen danach, die Maid vom Amselfeld jemals wiederzusehen, darf ich dir versichern.« Noch mehr Befriedigung.
Bosco wies ihn jedoch darauf hin, dass es mindestens eineinhalb Stunden dauern würde, bis die vier Sicherheitsebenen überwunden seien, die die zehn Insassen der inneren Zellen im Haus für Sonderbehandlungen bewachten. Tatsächlich musste Cale fünfzig Minuten lang auf der letzten, höchsten Ebene warten, weil zuerst ein Bote zu Bosco geschickt werden musste, um noch eine weitere Bestätigung des Bestätigungsschreibens herbeizuschaffen, das Bosco für Cale ausgestellt hatte. Vierzig dieser fünfzig Minuten wurden allerdings von Boscos dritter, ultimativer Befriedigung dieses Abends beansprucht, der den Boten extra lange vor seinem Arbeitszimmer warten ließ.
Schließlich kehrte der Bote zurück, und der Schlüsselwärter führte Cale zuerst durch eine große Tür und dann durch den Flur zur Zelle der Maid.
Sie lag auf der Pritsche, setzte sich aber sofort auf, als die Zellentür aufging, voller Angst, was dieser ungewöhnliche Besuch bedeuten mochte.
»Geh«, befahl Cale dem Schlüsselwärter, der sofort widersprechen wollte. »Ich sage es dir nur ein einziges Mal.«
»Ich muss Euch in die Zelle einschließen.«
»Wenn ich dich rufe …« Cale unterbrach sich; dem Wärter musste selbst klar werden, was er ihm sagen wollte. »Tu es nicht.«
Der Wärter wusste genau, was diese anscheinend mysteriöse Warnung bedeuten sollte, denn genau das hatte er beabsichtigt: Cale dann länger als nötig warten zu lassen.
Der Wärter unterdrückte mühsam seine gewaltige Wut, warf die Tür zu und drehte den Schlüssel um. Cale steckte die Kerze in einen Halter auf dem Tisch, dem einzigen Möbelstück, ein Stuhl war nicht vorhanden. Das Mädchen war entsetzlich mager, denn die Ernährung im Haus der Sonderbehandlungen war nicht nur grauenhaft, sondern auch völlig unzureichend. Sie starrte ihn mit den riesigen braunen Augen hungernder Menschen an. Sie wirkten auch deshalb so groß, weil man ihr den Kopf geschoren hatte, teilweise wegen der Läuse, teilweise aus reiner Bösartigkeit.
»Ich möchte mich nur mit dir unterhalten. Du brauchst keine Angst zu haben. Jedenfalls nicht vor mir.«
»Aber vor jemand anderem?«
»Du bist hier im Haus für Sonderbehandlungen der Ordensburg– natürlich vor jemand anderem.«
»Wer seid Ihr?«
»Mein Name ist Thomas Cale.«
»Ich habe noch nie von Euch gehört.«
»Das stimmt wohl nicht ganz.«
»Sofern Ihr nicht der Thomas Cale seid, der von Gott gesandt wurde, um alle Feinde zu töten.« Cale schwieg. »Gott«, fügte sie vorwurfsvoll hinzu, »ist Mutter all seiner Kinder.«
»Ich hatte nie eine Mutter«, antwortete Cale. »Ist das eine gute Sache?«
»Homo hominis lupus est. Seid Ihr das nicht, Thomas, des Menschen Wolf?«
»Gerechterweise müsste man sagen«, antwortete Cale nachdenklich, »dass ich meinen Anteil an wölfischen Dingen getan habe. Aber obwohl dich offenbar selbst hier in der Zelle gewisse Gerüchte über mich erreicht haben, heißt das noch lange nicht, dass sie wahr sind. Du solltest einmal hören, was sie draußen über dich erzählen.«
»Was wollt Ihr?«, fragte sie.
Das war eine gute Frage, denn er war sich keineswegs sicher, was er von ihr wollte. Auf jeden Fall war er neugierig zu erfahren, wie diese junge Frau es geschafft hatte, die Erlösermönche derart und in so vielfältiger Hinsicht gegen sich aufzubringen. In Wahrheit hatte er allerdings Bosco eher deshalb um diesen Besuch gebeten, um ihn zu ärgern, als um seine Neugier zu befriedigen. Cale hatte tatsächlich erwartet, dass Bosco ihm die Bitte abschlagen würde.
Aus seinen
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