Die Letzten ihrer Art 02 - Der letzte Ork
seinem Geist nachhelfen. Obwohl grundsätzlich unüberwindlich, konnte die Schwerkraft momentweise lang doch aufgehoben werden. Enstriil nahm Anlauf und sprang als Erster. Yorsh leitete und unterstützte den Sprung. Hinter und nach ihm setzten sämtliche Reiter über die Pfähle hinweg, von ihm geführt, begleitet, unterstützt. Die Erschöpfung nach dieser übermenschlichen Anstrengung verflog völlig, war wie ausgelöscht vom Klang der Hörner aus dem Inneren der belagerten Stadt, vom Mut, der Wut und dem Glauben, die Yorsh und seine ganze Armee beseelten.
Das erste Bataillon Orks nahm vor ihm Aufstellung. Der Kommandant war sehr groß. Nach dem, was er in Büchern gelesen hatte, erkannte er in ihm einen der Orks, die von den Feuerbergen am äußersten Rand der Bekannten Welt herabgekommen waren. Der Helm, der einen Teil des Gesichts voller Haare und Stoßzähne bedeckte und aus Lederfransen und rostigem Eisen gemacht war, bildete unverkennbar die Schnauze eines Wolfes nach, ebenso der halbkreisförmige Schild, deren Eisenbeschläge Krallen nachempfunden waren.
Yorsh erschlug ihn mit einem einzigen Schwerthieb.
Der Schmerz des Todes traf ihn wie ein Pfeil. Er spürte sein Schwert ins Fleisch des anderen eindringen, als ob es sein eigenes wäre, er spürte, wie der Atem im Blut erstickte, das Röcheln und Gurgeln, spürte, wie das Herz stehen blieb. Er fühlte die Erinnerung an abgeschlagene und auf Lanzen gesteckte Köpfe, das dreckige Lachen, das diese Unternehmung begleitet hatte, die Lust am Gefühl von Macht und Stärke beim Abschlachten von Wehrlosen. Er fühlte die Freude, die der andere empfunden hatte, wenn er im Gleichschritt mit allen anderen marschierte, denn in dieser Bewegung, und nur da, konnte er das Gefühl der eigenen Nichtigkeit ertränken und vergessen. Er fühlte auch die Erinnerung des anderen an den Duft des Sommerwinds. Einen Augenblick lang sah er in einer Folge von trüben Bildern eine missmutige und brutale Mutter, niedergebeugt, um etwas zu essen zu suchen, umringt von einer Schar kleiner, greinender Wesen, und er begriff, dass hinter jedem künftigen Ork eine Kindheit in Schlamm und mit fauligem Essen stand. Eine Geschichte von ungeliebten Kindern, die in die Welt gesetzt wurden, nur um sie später als Waffen im Kampf gegen eine wohlhabendere Welt einzusetzen.
Sie waren Personen.
Die Orks waren Personen.
Was sie im Gesicht trugen, das ganz aus Haaren und Stoßzähnen bestand, war nur eine Kriegsmaske. Die Orks waren kein Auswurf der Hölle, sie waren Personen. Als Neugeborene hatten sie geweint, verzweifelt, wie nur Neugeborene weinen können. Eine Mutter hatte sie in ihrem warmen Bauch getragen.
Yorsh wurde langsamer.
Auf keinen Fall würde er einen zweiten Schlag führen können.
Seine Laufbahn als Heerführer war hier zu Ende.
Rankstrail überholte ihn. Die Illusion der Rollenverteilung zwischen Verfolger und Verfolgtem zerbrach. Überwältigt von Schmerz, weil er seine Leute hingemetzelt sah, weil ihren Söhnen die Köpfe abgeschlagen und auf Pfähle gesteckt worden waren, preschte der junge Hauptmann vor, um seine belagerte Heimatstadt zu befreien. Sein Schwert traf jeden, der ihm in den Weg kam.
Yorsh wurde klar, warum der Ruhm seines Volkes, Völkerschaften zum Sieg führen zu können, der Vergangenheit angehörte. Das Niveau an elementarer Grausamkeit war bei den Elfen unter jenes Mindestmaß gesunken, das für jede Art von Kriegführung und damit für das Überleben selbst erforderlich ist. Ihr Vermögen, andere zu verstehen, war ihnen zum Verhängnis geworden. Sie hatten die Orks nicht aufgehalten, wie sie gesollt hätten, und die Menschen hatten sie deswegen gehasst, sie hatten ihre Kräfte überschätzt, hatten ihre Empfindlichkeit missverstanden und sie für alle Übel verantwortlich gemacht. Gegen die Dämonen hatten sie kämpfen können, aber nicht gegen die Orks, geschweige denn gegen die Menschen, weil der Schmerz der Besiegten sie überwältigte und den Sieg für sie unerträglich machte. Alles, nur das nicht. Lieber sterben. Lieber verschleppt und deportiert werden. Lieber das eigene Fleisch aufgezehrt sehen von Hunger, zerfressen von Zecken und Hass.
Wie ein Brand unaufhaltsam um sich greift, auch nachdem das Feuer, von dem er ausging, erloschen ist, so kannte die Armee des Menschenvolks kein Halten und kein Zögern, als der Schmerz Yorshs Herz überwältigte.
Er hielt sich in der Nähe von Rankstrail, der die Verteidigungsposten der Orks einen nach
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