Die Letzten ihrer Art 02 - Der letzte Ork
leise und verächtlich: »Ich habe Arduin gesehen. Ich habe ihn im Spiegelbild auf meinem Schwert gesehen, und ohne seinen Mut hätte ich es niemals geschafft, die Belagerung zu durchbrechen. Es war sein Geist, der mich leitete. Er trug diesen Mantel. Die Silberstickerei und die Perlen sind unverkennbar. Er hatte die efeuumwundene Goldkrone auf.«
»Eben, meine Herrin. Arduins Krone ist aus Eisen, mit einem schmalen Goldreif darin zum Andenken an seine Gemahlin. Überlegt doch! Arduin hätte niemals die Krone der Elfen tragen können, da doch Ihr und Euer Gemahl sie erst vor einigen Jahren wiedergewonnen habt. Dieser Mantel hat nicht Arduin gehört. Mein Vater hat ihn sich vergangenes Jahr machen lassen und dazu solche Mengen Gold verbraucht, dass sie ausgereicht hätten, die ganze Grafschaft zu ernähren und ein Heer zu bewaffnen, das die Erde des Menschenvolks bis zu den Grenzen der Bekannten Welt verteidigt. Arduin der Gerechte hätte sich niemals einen solchen Mantel machen lassen. Was Ihr im Moment der Gefahr gesehen habt, meine Herrin, war das Bildnis Eures Sohnes, wenn er den Thron bestiegen haben wird. Einer Eurer Söhne heißt Arduin. Der künftige König von Daligar. Euer Blick durchdringt die Schleier der Zukunft wie der Arduins, er dringt nicht in die Vergangenheit.«
Ein langes Schweigen trat ein. Aurora und Rosalba standen sich gegenüber, reglos, die grünen Augen der einen begegneten den schwarzen der anderen.
Endlich ließ Rankstrail sich vernehmen.
»Aber wie konnte denn das zugehen, dass man einen Monghahul-Ork zum König gemacht hat?«
Rosalba belebte sich wieder. Aurora antwortete prompt.
»Arduin wurde einstimmig gewählt. Er war der siegreiche General. Als er kam, war die Stadt in der Gewalt der Orks. Die Grausamkeiten waren unerhört und unaussprechlich. Die Hälfte der Einwohner war tot, und die andere Hälfte hätte gewünscht, es zu sein. Arduin ergriff das Kommando über das, was von der Armee übrig war, und befehligte den Gegenangriff. Er eroberte die Stadt zurück. Vernichtete der Reihe nach die anrückenden Ork-Heere, vertrieb sie aus der Bekannten Welt und machte die Grenzen wieder fest und sicher.«
»Und wie konnte es zugehen, dass ein Mong-hahul-Ork zum Befehlshaber unserer Armee oder dessen werden konnte, was davon übrig war, um den Gegenangriff zu führen?«
Aurora suchte nach Worten, fast verlegen.
»In den Annalen steht, dass er sozusagen ernannt wurde, ›angeheuert‹ wäre freilich das richtigere Wort, von der Tochter des Königs …«
»Und wie konnte der Königstochter so etwas in den Sinn kommen? Wo hat sie den Ork denn gefunden? Unter ihrem Bett vielleicht in einer hochsommerlichen Vollmondnacht? Tochter von welchem König? Hinz dem Bescheuerten oder Kunz dem Bekloppten? Und wer ist denn der Idiot, der auf die Idee kommen konnte, einen Mong-hahul-Ork den Herrn des Lichts zu nennen? Womit hat er die Welt denn erleuchtet? Etwa mit dem Feuer seiner Scheiterhaufen?«, brauste Rosalba auf.
Kapitel 19
Aurora wurde immer unsicherer und verlegener, aber sie ließ nicht locker und versuchte, den Faden ihrer Erzählung wieder aufzunehmen.
»Erlaubt, dass ich euch das Leben Arduins von Anfang bis Ende erzähle. Ich bin, glaube ich, die Einzige, die es wirklich kennt. Meine Mutter hat mir das Elfische beigebracht und mithilfe des Hofmeisters des Königlichen Hauses habe ich auch die alten Sprachen gelernt. Bevor er starb, hat Arduin seine Prophezeiung oberhalb der Bogengänge in die Wand meißeln lassen und seine Lebensgeschichte von eigener Hand aufgezeichnet. Er schrieb nur in der Elfensprache. Die Aufzeichnungen waren in anderen Texten versteckt, hier und da eine Zeile, und man musste sie wie ein Rätsel entschlüsseln. Ich weiß nicht, ob Arduin selbst seinen Text so versteckt hat oder ob es seine Nachfolger waren, die auf diese Weise einen Kompromiss fanden zwischen dem Wunsch, seine Zugehörigkeit zum Volk der Orks zu verbergen, und dem, die Erinnerung an ihn zu bewahren. Die Prinzessin hieß Jade und war die jüngste Tochter des Königs, das letzte von neunundzwanzig Kindern, die der König mit seinen vier Frauen, die ihn eine nach der anderen als Witwer zurückließen, und sechs Konkubinen, die die Zwischenzeiten ausfüllten, gehabt hatte. Ihr Vater war Dardrail der Vierte gewesen, genannt der Grausame, wegen der Unerbittlichkeit, mit der er seine Gebiete verwaltete, der Härte, mit der er seine Familie regierte, und der Grausamkeit, die er gegenüber den Orks
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