Die Letzten ihrer Art 02 - Der letzte Ork
Reiher, um das magere Einkommen der zwischen den Strebepfeilern des zweiten Mauerrings und dem wilden Kirschbaum eingeklemmten Schreinerwerkstatt aufzubessern.
Mit den Fingern strich er über seinen groben und abgenutzten Quersack, den er unter der Samtjacke trug. Darin befand sich ein Pfirsichkern, Andenken an die ersten Toten, die er gerächt hatte. Dann waren da Blütenblätter, getränkt im Blut des Drachen, der sein Leben geopfert hatte, um seinen Elfenbruder zu retten. Da war der Brief, den sein Vaters diktiert hatte, wo die Worte »Mein geliebter Sohn, ich träume von deiner Heimkehr, um deine Heimkehr bete ich …« nicht mehr zu lesen waren, so oft waren die Fingerkuppen des Hauptmanns darübergegelitten. Da waren die Spielsachen, die Erbrow ihm gegeben hatte, um sein Mitleid zu erkaufen und die Kinder zu erfreuen, die er entschlossen war niemals zu haben.
Als er eintrat, war es schon dunkel. Sein Vater war im Inneren des Hauses, er saß auf einem Holzstumpf beim Feuer zwischen dem Herd und der Bettstatt, die fast die ganze Fläche einnahm. Die Tür zu dem anderen winzigen Zimmer, in dem das Bett seiner Schwester stand, war verschlossen, Zeichen dafür, dass sie schon zur Ruhe gegangen war. Borstril, sein jüngerer Bruder, schlief ruhig im Heu auf dem hölzernen Zwischenboden, der das Häuschen auch in der Höhe noch einmal unterteilte. Rankstrail sah den Vater an. So gebeugt hatte er ihn nicht in Erinnerung gehabt. Das Haar war weißer und schütterer als beim letzten Mal, in den Händen ein Zittern, das vorher nicht da gewesen war. Der Alte hob den Blick von der Truhe, die er gerade mühsam reparierte, mit Händen, die nicht mehr die seinen schienen; er erblickte ihn und lächelte ihn an. Einen Augenblick lang strahlte er.
Rankstrail trat zu ihm. Er überragte den Alten wie ein Berg. Er erwiderte das Lächeln, aber seines war schwächer, fast nur angedeutet. Er schwieg lange.
»Vater, verzeiht mir, ich bin gekommen, Euch zu fragen, wer ich bin«, sagte er schließlich ruhig.
Das Lächeln des Alten erlosch. Er schwankte, wandte den Blick aber nicht vom Gesicht des Hauptmanns. Ein sehr langes Schweigen trat ein.
»Du bist mein Sohn«, sagte er schließlich sehr leise. »Du bist mein erstgeborener Sohn. Du bist der Sohn von mir und meiner Gemahlin. Du hast ihre Augen, du … nun ja. Du lächelst wie sie … du bist mein Sohn. Du bist unser Kind, unser erstgeborener Sohn …«
Die Stimme des Alten erstarb mit der letzten Silbe.
Rankstrail nickte. Dann kniete er vor dem Alten nieder, nahm sanft dessen Hand von der Truhe, küsste sie und legte sie dann an seine Wange.
»Das weiß ich«, sagte Rankstrail. »Das weiß ich«, wiederholte er noch einmal, »ich könnte nicht leben, wenn ich das nicht wüsste. Ich weiß, dass ich Euer erstgeborenen Sohn bin, und dieses Wissen hat jeden meiner Schritte, jeden meiner Atemzüge begleitet.«
Die Hand des Alten lag kalt auf seinem glühenden Gesicht. Er spürte ihr Zittern.
»Jetzt bitte ich Euch, Vater, sagt mir, wer ich bin«, wiederholte er schließlich, während die Schatten des Abends in das kleine Haus drangen.
Erst als die ersten Sterne zur Tür hereinschienen, die offen stehen geblieben war, ließ sich die Stimme des Vaters wieder vernehmen.
»Vor den Großen Regenfällen lebten wir am Rand der Ebenen des Ostens, an der Grenze der Bekannten Welt. Unser Dorf war arm, aber nicht elend. Ich liebte deine Mutter und sie mich. Wir wollten nur noch den Sommermond und die Ernte abwarten und dann würden wir heiraten. Ich konnte schnitzen, besaß sechs Ziegen und war im rechten Alter, um zu heiraten. Dieser Mond brachte aber keinen Sommer, sondern den Beginn der Unendlichen Regenfälle und die Erde überzog sich mit Wasser und Elend. Die Ziegen ertranken, die Kartoffeln verfaulten. Da war nichts mehr, womit man um die Hand einer Frau hätte anhalten können. Wir wagten es, uns zu beklagen, und vielleicht haben uns die Herren der Unterwelt deshalb bestraft. Die Dämonen mögen keine Unzufriedenheit, sie rächen sich für Verwünschungen. Als wir schon glaubten, es sei genug des Elends und das Schicksal sei ungerecht genug zu uns gewesen, kamen die Orks und fielen über uns her. Ich kann dir nicht sagen, woher sie kamen. Es waren die ersten, die wir sahen. Seit den Zeiten Arduins waren die Orks vertrieben, aber damals wurden die Grenzen von Soldaten bewacht und es gab kleine Forts und Warnfeuer. Jetzt hingegen lagen an der Grenze zwischen dem Bekannten und dem
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