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Die Letzten ihrer Art 02 - Der letzte Ork

Die Letzten ihrer Art 02 - Der letzte Ork

Titel: Die Letzten ihrer Art 02 - Der letzte Ork Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvana de Mari
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lang gemiedenes und endlich erkanntes Ungeheuer. Er sah seinem Vater in die Augen und das Ungeheuer verschwand für immer, zusammen mit den Gespenstern jener Nacht an der Grenze zur Unbekannten Welt. Er war der erstgeborene Sohn eines Mannes und einer Frau, die einander mehr geliebt hatten als alles andere auf der Welt. Er war der erstgeborene Sohn ihrer Liebe.
    Die Unterwelt hatte ihre Pforten wieder geschlossen und würde sie für niemanden mehr öffnen.
    Besorgt sah der Alte auf den Verband an seiner Hand.
    »Bist du verletzt?«, fragte er.
    »Nein, nicht mehr«, antwortete Rankstrail verlegen.
    Mit den Fingern strich der alte Mann über den Saum des samtenen Ärmels und deutete auf die goldenen Ehrenzeichen an Rankstrails Uniform.
    »Du bist jetzt ein bedeutender Mann«, bemerkte er. »Bist du … bist du auch reich?«, erkundigte er sich schüchtern.
    Rankstrail nickte.
    »Sicher«, antwortete er. »Sicher«, wiederholte er und hatte Schuldgefühle, weil er noch nicht daran gedacht hatte, den alten Mann aus seinem winzigen Häuschen zu holen. »Morgen suche ich als Erstes ein richtiges Haus für dich, mit sämtlichen Wänden … mit Fenstern, Obstbäumen und … einem Gemüsegarten …«
    »Nein, nein, nicht für mich, es ist nicht für mich«, wehrte sich der Alte. »Das hier ist mein Haus, ich will nicht weg von hier. Hier habe ich immer gelebt. Hier ist deine Mutter gestorben. Ihr Grab ist nur ein paar Schritte entfernt, und ich kann hinübergehen und mir ihr reden, sooft ich mich allein fühle. Ich kenne die Nachbarn. Nein, es ist für deine Schwester. Sie wird bald heiraten …«, erklärte er mit besorgter Miene.
    Dieser Sprung in die Alltagswirklichkeit heiterte die Stimmung des jungen Hauptmanns auf.
    »Hat der Bäckersohn sich nun endlich entschlossen, um sie anzuhalten? Wir können seiner Mutter, dieser bösen Alten, sagen, dass sie so viel Mitgift bekommt, wie sie nur will.«
    »Nein, es ist nicht der Bäckersohn, es ist der Prinz von den Bogenschützen, der um ihre Hand angehalten hat.«
    »Prinz Erik, der Kommandant der Bogenschützen? Der Spross des bedeutendsten Geschlechts der Stadt?«
    »Eben der. Er will deine Schwester zur Frau, und er hat gesagt, die Mitgift ist ihm gleichgültig, er will nichts davon hören. Er sagt, ihr Bogen und ihr Mut sind schon eine … wie hat er sich ausgedrückt … sind schon Mitgift genug. Sie waren immer zusammen, weißt du, gemeinsam haben sie die Verteidigung der Stadt organisiert. Deine Schwester hat allen Frauen von Varil das Bogenschießen beigebracht, auch den großen Damen, auch den Wäscherinnen. Du hättest sie sehen sollen … Er hat gesagt, die Ehre, ein Mädchen wie Fiamma heiraten zu dürfen, das deine Schwester ist, bedeutet mehr als …«
    Rankstrail brach in Gelächter aus, es war ein langes, befreiendes Gelächter, das die Wände des kleinen Hauses erschütterte.
    »Jetzt, wo wir sie hätten, die Mitgift, da will sie keiner mehr haben!«
    Der Alte lachte nicht, er war nach wie vor bekümmert.
    »Auch wenn er nichts will, müssen wir doch etwas beisteuern. Sie braucht ein Brautkleid. Ein prächtiges Kleid. Er ist ein Prinz … Ihr Brautkleid, weißt du, das von deiner Mutter, hat sie angezogen, um in den Krieg zu ziehen. Vielleicht hat das auch etwas Gutes. Weißt du, sie hatte es an, als sie sich zum ersten Mal begegneten. Sie war so schön … Sie hatte sich das Brautkleid angezogen, um in den Tod zu gehen. Aber jetzt ist das Kleid voller Schlamm und Blut, und auch wenn wir es reinigen könnten, so kann sie doch nicht …«
    Rankstrail beruhigte ihn. Nachdem er dem Vater beim Zubettgehen geholfen hatte, blieb er noch ein Weilchen bei ihm sitzen.
    Vor dem Einschlafen flüsterte der Alte noch: »Ich bin wirklich glücklich, dass du die Stadt gerettet hast.«
    Wieder kniete Rankstrail vor ihm nieder und küsste ihm die Hand.
    Als der Alte eingeschlafen war, ging Rankstrail aus dein Haus. Er musste die ganze Stadt durchqueren, um zu der Treppe zu gelangen, die zu den Türmen und den Wehrgängen am innersten der drei Mauerringe des Stadt hinaufführte, von wo aus man den ganzen Horizont überblickte.
    Die Fackeln waren angezündet.
    Sein Mantel war auf den Schultern des Vaters zurückgeblieben, seine goldenen Ehrenzeichen leuchteten im Dunkeln. Die Leute, denen er begegnete, erkannten ihn und verneigten sich, wenn er vorüberkam. Manch einer beugte das Knie.
    Rankstrail kam zu den östlichen Bastionen und stieg hinauf. Die Wachsoldaten salutierten.

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