Die letzten Monate der DDR: die Regierung de Maizière und ihr Weg zur deutschen Einheit
ist, das heute noch andauert.
Das sind eben zwei Welten. Aber die Partner in der Politik kann man sich nicht aussuchen, die hat man und muss sehen, wie man mit ihnen zu Rande kommt. Wir haben einen Schwergewichtsboxer und einen Federgewichtsboxer in den Ring gestellt und wundern uns, dass der Federgewichtsboxer nach der zweiten Runde k. o. gegangen ist.«
Dies gilt komischerweise sowohl für die Staaten als auch für die Statur der beiden Hauptprotagonisten. Christa Schmidt erlebt im Oktober auf dem Vereinigungsparteitag der CDU in Hamburg einen fassungslosen de Maizière, dem beim Deutschlandlied die Trä nen kommen: »Er hatte ja in der Öffentlichkeit immer damit zu kämpfen, dass er neben Kohl eben wie so ein Männlein wirkt. Dafür kann aber keiner der beiden etwas.«
De Maizière, bekannt für flotte Sprüche, äußert sich vor der Presse schon mal so, dass er das Gefühl habe, dass kein Platz mehr für ihn sei, wenn er einen Raum betrete, in dem sich Helmut Kohl aufhalte. Sicher kein Spruch, der die Freundschaftsgefühle Kohls, der eh von den ständigen öffentlichen Anspielungen auf seine korpulente Statur genervt ist, vertieft.
Mehrere Regierungsmitglieder bezeichnen das Verhältnis der beiden als schwierig. Pressesprecher Gehler erinnert sich an Telefonate zwischen den Regierungschefs: »Das lief schon in einem besonderen Spannungsverhältnis der beiden ab. Ich entsinne mich, dass er den Hörer auflegte: ›Jetzt habe ich es dem Dicken wieder mal gesagt!‹ Und wir lachten alle danach.«
Am 23. Juni findet im Bonner Palais Schaumburg das alljährliche Kanzlerfest statt. Auf der großen Wiese sind Zelte und Stände aufgebaut. Berühmte deutsche Persönlichkeiten bis hin zum deutschen Adel sind erschienen. Natürlich sind die Minister der Bundesregierung anwesend. Und auch die Regierung der DDR ist geladen. Die Stimmung ist ausgezeichnet.
Der Konzertmeister des Bonner Beethoven Orchesters tritt an den östlichen Ministerpräsidenten mit der Frage heran, ob er die Eröffnung mitspielen wolle, Händels Wassermusik. De Maizières Einwand, er habe doch gar kein Instrument dabei, lässt der Kapellmeister nicht gelten, man hätte sich das schon gedacht, und der Solobratschist würde ihm gern sein Instrument leihen. De Maizière lässt sich überreden.
Helmut Kohl findet sichtlich Gefallen am Auftritt des kleinen Premiers aus Ostdeutschland. Matthias Gehler: »Und dann waren sie fertig, und Kohl ging nach vorn und nahm das Mikrofon und sagte so von oben nach unten, als könnte de Maizière nur Geige spie len: ›Der erste Mann eines Landes muss eben die erste Geige spielen können!‹ Und damit war eigentlich gesagt, na, jetzt kannst du gehen, du hast ja gespielt.«
23.6.1990, Bonn, Sommerparty im Kanzleramt
De Maizière: »Und da hat mich der Teufel geritten, und ich habe das Instrument genommen und es ihm hingehalten, um ihm zu sagen ›Du kannst es ja nicht.‹ Das Gesicht werde ich nie vergessen, das er gemacht hat!«
Gehler: »Und diese gewitzte Gegenreaktion, die hat das voll ausgesagt, was zwischen den beiden stattgefunden hat. Da war Spannung. Alles hielt in diesem Moment den Atem an, mir schien das wie eine Ewigkeit. Und dieser Stillstand, diese Spannung da, die ist mir so gegenwärtig, die werde ich nie vergessen.«
Am 2. August fliegt Lothar de Maizière mit Günther Krause und seinem Berater Fritz Holzwarth an den Wolfgangsee, um Helmut Kohl dort an seinem Urlaubsdomizil zu besuchen. Es ist 14 Tage her, dass Gorbatschow bei dem berühmten Treffen mit Kohl im Kaukasus seinen Widerstand gegen die deutsche Einheit aufgegeben hat, indem er erklärte, dass das geeinte Deutschland selbst und frei entscheiden könne, welchem militärischen Bündnis es angehören möchte. Deutschland solle seine »volle und uneingeschränkte Sou veränität« zurückerhalten. Zu diesem Treffen war die ostdeutsche Seite nicht geladen, von den Ergebnissen, dem »Durchbruch« erfährt man aus der Presse.
Der Weg zur deutschen Einheit ist frei, aber de Maizière ist klar, dass sie nicht bis zum 2. Dezember, dem geplanten Termin der ersten gesamtdeutschen Wahl, aufzuhalten ist. Er sucht einen Ausweg aus einer geradezu verzweifelten Situation: Nach der Währungsunion haben sich die wirtschaftlichen Schwierigkeiten enorm verstärkt. Die Bauern drohen, das Getreide auf dem Halm anzuzünden und die Schweine mit der Forke zu erschlagen, weil sie keinen Absatz für ihre Produkte finden.
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