Die letzten Monate der DDR: die Regierung de Maizière und ihr Weg zur deutschen Einheit
genommen worden ist, »mit welchen Mitteln auch immer«, denn es passieren bald nach seiner Rückkehr überraschende Dinge: Der Bruch der Koalition mit der Entlassung der Minister und die chaotische Volkskammersitzung am 22. August mit der Festlegung des Beitrittstermins. Über beide Ereignisse wird noch zu berichten sein.
3.5.1990, Berlin, Staatsempfang, UdSSR-Botschafter Wjatscheslaw Kotschemassow gratuliert der neuen DDR-Führung zur Amtsübernahme
Thierse vermutet: »Ich erinnere mich genau, Lothar de Maizière wurde zum Kanzler gerufen, ich glaube sogar an den Wolfgangsee, es war ja schließlich Sommerzeit, und er kam zurück und alles war anders.«
Ganz so spontan wie Kohl es in seinen Erinnerungen darstellt, war der Besuch am Wolfgangsee tatsächlich nicht. De Maizière war einige Tage vorher in Wien und wollte eigentlich schon von dort nach Salzburg fliegen. Aber dann hätte er den ganzen Pressetross am Hals gehabt. Als er dann am 2. August aufbricht, wissen das nur sehr wenige, zum Beispiel die Leute von der Flugbereitschaft, damit die Medien keinen Wind bekommen. Der Kanzler allerdings ist eingeweiht. Die kleine Delegation, de Maizière, Fritz Holzwarth und Günther Krause, wird vom Flughafen abgeholt.
Auch die Darstellung einiger SPD-Koalitionäre, dass der Premier vom Bundeskanzler an den Wolfgangsee »gerufen« oder »zitiert« worden sei und dort Befehle erhalten habe, lässt sich nicht halten. Dieses Treffen am 2. August kam allein auf Initiative von de Maizière zustande. Fritz Holzwarth hatte seinen Chef überzeugt, angesichts der dramatischen wirtschaftlichen Entwicklung das Gespräch mit Kohl zu suchen. Er erinnert sich gut an den Tag in St. Gilgen; das Thema Koalition spielte gar keine Rolle, es wurden auch keine Personalien besprochen. Es ging einzig um den vorgezogenen Termin der Wahlen angesichts der wirtschaftlichen Lage. Lothar de Maizière, sagt Holzwarth, sei auch nicht der Mensch, der sich irgendwo hinzitieren ließe. Selbst nicht zum sowjetischen Botschafter Kotschemassow 12 , wie das ja in der DDR so üblich war. De Maizière: »Nach meiner Wahl rief Kotschemassow an, er erwartete, dass ich morgen zum Rapport erscheine. Da wurde ihm gesagt: ›Nein, ist nicht mehr. Sie dürfen um einen Termin nachsuchen.‹ War für den auch völlig neu.«
Auch Regierungssprecher Matthias Gehler bestätigt, dass de Maizière sich nicht zitieren ließ und an der Stelle geradezu störrisch gewesen sei. Er habe sehr auf Gleichberechtigung geachtet und sich immer wieder als Anwalt der 17 Millionen Ostdeutschen bezeichnet.
Wjatscheslaw Iwanowitsch Kotschemassow (Jg. 1918), war letzter Botschafter der UdSSR in der DDR (1983 – 1990).
6. Ein Wink mit dem Zaunpfahl?
»So richtig zerfallen konnten wir gar nicht!«
Reinhard Höppner
Am 16. August, zwei Wochen nach de Maizières Besuch am Wolfgangsee, bricht die große Koalition auseinander. Die SPD verlässt das Regierungsbündnis. Die Ursachen sind komplex, die Schuldzuweisungen gegenseitig. Der Regierungschef verortet die Schuld beim Koalitionspartner: »Ein Grund ist, dass im August 1990 Oskar Lafontaine in die Fraktion der Volkskammer kam und sagte: ›Freunde, wir sind im Vorwahlkampf, und Wahlkampf aus einer Koalition heraus ist nicht zu führen. Ihr müsst eben sehen, wie ihr nach Möglichkeit aus der Koalition herauskommt!‹ Dem hat damals Richard Schröder noch widersprochen. Andere waren der gleichen Meinung.«
»Ach«, sagt Schröder, »das ist merkwürdig gewesen. Oskar Lafontaine war Kanzlerkandidat der SPD. Und von Leuten, die auf ihn hörten, gab es von Juni an Papiere, die in der Fraktion herumge reicht wurden, wir sollten aus der Koalition austreten. Das Hauptargument war der Wahlkamp f. Die Idee, die dahinterstand, fand ich nicht sehr fein: Hier geht es wirtschaftlich den Bach herunter, und wir wollen damit nicht in Zusammenhang gebracht werden. Das entsprach nun allerdings überhaupt nicht meinem Politikverständnis, muss ich sagen, sich davonmachen, wenn es schwierig wird. Ich könnte da auch einzelne Namen nennen, auch von unseren Ministern, die so argumentiert haben: ›Der Laden fliegt auseinander, wir müssen hier raus aus der Koalition.‹«
Konkret geht es um die Entlassung des Finanzministers Walter Romberg. Romberg ist in der Frage der Finanzierung der deutschen Einheit anderer Meinung als de Maizière: »Ich hatte eine große
25.7.1990 Berlin, Ministerrat, Finanzminister Walter Romberg (l.),
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