Die letzten Monate der DDR: die Regierung de Maizière und ihr Weg zur deutschen Einheit
bestimmter Politiker passte. Das ist eine Frage, bei der man sicher zu interessanten Ergebnissen kommt, die aber heute Geschichte ist. Und es ist ja auch nicht wahr geworden, was zum Beispiel Helmut Kohl in Antwort auf diese Losung gesagt hat: ›Na, dann bringen wir doch die D-Mark schnell in die Hände der DDR-Bürger, dann werden sie das Land nicht mehr verlassen!‹ Inzwischen ist ja bekannt, dass weitere etwa 2 ½ Millionen in den letzten 15, 20 Jahren nach dem Westen gegangen sind, meist Leistungsträger.«
9. Der zweite Staatsvertrag
»Die Tante ist reich, der Neffe ist arm.«
Gregor Gysi
Der zweite Staatsvertrag, den die DDR mit der Bundesregierung aushandelt und abschließt, ist der Einigungsvertrag. Der seltsame Name stammt von Regierungssprecher Gehler: »Ich habe mit de Maizière gesprochen, der voll darauf aus war, das Ganze zweiten Staatsvertrag zu nennen. Ich habe gesagt, informationstechnisch kann man den eigentlich nicht zweiten Staatsvertrag nennen, da gibt es erstens und zweitens, da kommt jeder durcheinander. Wir haben nicht viel Zeit. Wir müssen sehen, dass wir dem einen Namen geben. Und dann habe ich den Namen erfunden ›Einigungsvertrag‹. Ich ärgere mich heute noch drüber, denn es ist ein Unwort! Bei jedem Vertrag einigt man sich. Eigentlich, wenn man es genau nimmt, müsste es ›Vereinigungsvertrag‹ heißen. Einigungsvertrag! Ein verrücktes Wort. Nur, es war leicht zu sprechen. Es war leicht rüberzubringen. De Maizière hat dann gesagt, ja! Das war das Lied, das leuchtete ihm ein. Okay!«
»Der erste Vertrag, Währungsunion, da gab es den Rohentwurf von der bundesdeutschen Seite«, erinnert sich de Maizière. »Und wir haben gemerkt, wie schwierig es ist, von einem Vertragsentwurf etwas wegzuverhandeln. Ich habe dann damals gesagt: ›Der Rohentwurf zum Einheitsvertrag, der wird von uns kommen!‹ Und der ist auch von unserer Seite gekommen. Die Verhandlung begann zwischen Schäuble und mir. Schäuble sagte bei allem: ›nur vorbehaltlich der Zustimmung meines Kanzlers und des Kabinetts‹. Da habe ich zu Günther gesagt: ›So eine Rückversicherungsposition, das können wir auch. Du verhandelst jetzt. Und bei allem, was du verhandelst, tust du das vorbehaltlich der Zustimmung des Ministerpräsidenten und des Kabinetts.‹ Also Günther Krause hat nichts
Reinhard Nissel, Staatssekretär im Justizministerium
verhandelt, was nicht mit mir abgestimmt war. Ich stehe zu dem Text des Vertrages.«
Verhandlungsführer von Seiten der Bundesrepublik ist Wolfgang Schäuble, von Seiten der DDR, wie beim ersten Staatsvertrag, Günther Krause.
Matthias Gehler lobt den DDR-Verhandlungsführer: »Mag man über Krause sagen, was man will, aber der Staatsvertrag wurde durch ihn gut ausgearbeitet. Es gab eine Szene, wo ich auf der Toilette war und Tietmeyer reinkam und schimpfte: ›Dieser Krause hat gut verhandelt!‹ Der hat tatsächlich gut verhandelt.« Auch Klaus Reichenbach ist der Meinung, dass Günther Krause die richtige Person für die Verhandlungen zur deutschen Einheit gewesen sei.
»Dieser Krause war für mich ein Phänomen«, sagt Reinhard Nissel, Staatssekretär im DDR-Justizministerium. »Der ist ja weder ausgebildeter Jurist noch Politiker. Während der Verhandlungen konnte man ja nicht jedes Mal, wenn man sich verständigen musste über eine Sache, die gerade in Verhandlung war, unterbrechen und sagen, wir müssen mal rausgehen. Also es blieb nur, und das haben wir auch so besprochen, auf einen kleinen Zettel drei, vier Stichworte zu schreiben. Die hat er sich durchgelesen, und dann hat er verhandelt, wusste alles! Also das war für mich ein Phänomen. Er hatte eine unheimliche Auffassungsgabe. Er konnte mit drei Stichworten sofort den ganzen Sachverhalt erfassen.«
Aber Nissel sagt auch: »Der hatte einen brutalen Umgang zum Teil, war auch von einer gewissen Arroganz. Ich weiß nicht mehr, um welches Thema es ging. Wolfgang Clement hatte irgendwas eingebracht, und da hat Krause ihn in der großen Verhandlungsrunde, nicht im kleinen Kreis, abgewatscht: ›Was Sie da für die SPD sagen, interessiert uns gar nicht! Verhandlungspartner ist die Bundesregierung!‹ So war Krause. Deswegen war mir völlig klar, dass der irgendwann mal scheitern musste.«
»Der Vertragsentwurf der DDR«, sagt Günther Krause, »der in der ersten Verhandlungsrunde übergeben worden ist, hat natürlich viele symbolische Fakten gehabt, beispielsweise, dass wir
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