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Die letzten Monate der DDR: die Regierung de Maizière und ihr Weg zur deutschen Einheit

Die letzten Monate der DDR: die Regierung de Maizière und ihr Weg zur deutschen Einheit

Titel: Die letzten Monate der DDR: die Regierung de Maizière und ihr Weg zur deutschen Einheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ed Stuhler
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etwas für uns alle Vernünftiges. Denn das war, glaube ich, allen Mitgliedern des Kabinetts von Lothar de Maizière klar: Eine unserer wichtigsten Aufgaben besteht darin, den inneren Frieden in der Gesellschaft zu erhalten, sonst würden wir gar nichts verändern können. Dann wäre das Chaos über uns.«
      In der Armee herrscht große Unruhe. Täglich gibt es Fahnenfluchten, NVA-Soldaten gehen über die Grenze zur Bundesrepublik und sind weg. Nach den noch geltenden Gesetzen der DDR ist das Desertion. Es hätte zu einer Belastung der Beziehungen der deutschen Staaten kommen können, aber beide Seiten spielen das Problem nicht hoch.
      »Mir war dann sehr schnell klar, du musst den Menschen eine Perspektive bieten, eine Zukunft aufzeigen, eine realistische Zukunft, die sie glauben können, dann werden sie auch einen ungewohnten Weg mitgehen, auch wenn der für sie risikovoller ist und völlig anders aussieht, als sie sich das vorher vorgestellt haben. Nur dann, wenn sie hoffnungslos sind, wenn sie den Eindruck haben, sie sind in eine Ecke gestellt und es geht jetzt um Leben oder Tod, dann darf man sich nicht wundern, wenn sie gewalttätig werden oder irrational reagieren.
      Und darum haben wir gesagt, erstens haben wir das Bemühen, möglichst viele, die nicht stasibelastet waren, in eine vereinte Armee zu übernehmen, wenn es dann dazu kommt. Uns war klar, das wird nicht ganz einfach sein. Wir waren ja in kompliziertesten Abrüstungsverhandlungen zwischen NATO und Warschauer Vertrag. Da ist ja praktisch jede Haubitze, jeder Soldat abgezählt worden. Das, was jetzt hier in Deutschland passierte, musste natürlich Einfluss auf diese Verhandlungen haben, völlig klar. Und es kamen sehr rasch Signale aus der alten Bundesrepublik, bestimmte Dienstgrade können nicht übernommen werden in einer angestrebten gemeinsamen Armee. Und es zeigte sich dann sehr schnell, was sich die Westdeutschen vorstellten: Also Generäle können wir nicht übernehmen und Obristen können wir nicht übernehmen. Die sind in einer so herausragenden Position gewesen und müssen auf dem Hintergrund dieser Position so eindeutig auch Unterstützer des Regimes gewesen sein, dass man denen das eigentlich auch gar nicht zumuten kann, dass sie in einer anderen Armee sind.«
      Viele verlassen die NVA freiwillig, aus politischer Überzeugung, weil sie sich nicht vorstellen können, zukünftig die Uniform des »Geg ners« zu tragen, andere, weil sie ahnen, wie gering ihre Chance ist, übernommen zu werden. Es gibt eine sogenannte »goldene Handschlagregelung«: Wer freiwillig geht, bekommt ein Übergangs geld von 5000 Mark. Das nutzen viele Pionieroffiziere, die ja von ihrer Ausbildung Bauingenieure sind und in der Wirtschaft unterkommen können.
      »Wir sind uns in der militärischen Leitung sehr schnell darüber im Klaren gewesen, dass es unrealistisch wäre, davon auszugehen, dass die Nationale Volksarmee komplett übernommen wird. Wir haben aber gesagt, auch wieder im Interesse der Gesamtgesellschaft und des Erhalts des inneren Friedens in der Gesellschaft, auch die, die nicht übernommen werden können, müssen eine Chance für ihr Leben haben, oder wir produzieren hier ein Unsicherheits-, ein Risik opotential, das politisch unverantwortlich wäre. Wir müssen die Möglichkeit geben, dass sie eine Firma aufmachen können, dass sie also anhand der Qualifikation, die sie sich erworben haben, eine Chance haben, ohne Uniform außerhalb der Nationalen Volksarmee sich eine neue Perspektive entwickeln zu können und ein neues Leben anzufangen.«
      Auf seiner ersten Kommandeurstagung trägt der neue Minister den versammelten Offizieren diese Gedanken vor und was er sich für die kommenden Monate vorgenommen hat: »Da ist etwas passiert, was, wie mir hinterher gesagt worden ist, noch nie in einer Na ti o nalen Volksarmee passiert ist. Als ich mit meiner Rede fertig war, sind die Kommandeure aufgestanden und haben Beifall geklatscht, weil sie genau das gehört haben: Wir werden nicht alle über nehmen können, das entscheiden wir nicht alleine, aber das entscheidet auch nicht nur die Bundesregierung alleine. Aber wir wollen keinen perspektivlos lassen. Diejenigen, die keine Chance haben, in eine Bundeswehr übernommen zu werden, die müssen eine andere berufliche Chance bekommen, wenn sie nicht in einem Lebensalter sind, wo man sagen kann, ihr könnt in den vorgezogenen Ruhestand gehen. Dann werden sie aber auf eine anständige Art und Weise

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