Die letzten Monate der DDR: die Regierung de Maizière und ihr Weg zur deutschen Einheit
Polizisten. Der braucht ein anderes Ideal, für das er arbeitet.‹ An dem ist gearbeitet worden. Wenn wir an die Berichterstattung vom Oktober / November 89 denken, in welch verhängnisvollen Situationen die Polizei bei den Beendigungen der Demonstrationen war – die Bevölkerung hat der Polizei um gehend verziehen und hat dieser Polizei, die ich führen durfte, ein sehr großes Vertrauen entgegengebracht. Das sehe ich als eine der ganz wichtigen Wirkungen der neu gewählten demokratischen Regierung an.
Wie jeder andere mache ich auch mal etwas falsch, ich fahre mal gelegentlich zu schnell mit dem Auto und bin dann sehr froh, wenn
9.7.1990, Innenminister Peter-Michael Diestel auf dem Dach der Unter suchungshaftanstalt Leipzig
ältere Polizisten mich anhalten, die ihrem letzten DDR-Minister Guten Tag sagen und mich nach einem Autogramm fragen und gelegentlich auch sagen: ›Sie dürfen hier nur 50 fahren, merken Sie sich das!‹ Da bin ich sehr stolz, dass von diesen Leuten, die unter mir damals auch gedient haben, und anständig gedient haben, das waren ja alles Genossen der SED, dass viele von ihnen ihren Platz auch in den demokratischen Strukturen gefunden haben.«
Peter-Michael Diestel ist der letzte deutsche Innenminister, dem der Strafvollzug untersteht. In der Bundesrepublik gehört der Strafvollzug zur Justiz, und dort kommt er mit der Vereinigung auch hin. Als das Kabinett de Maizière antritt, sind die politischen Gefangenen schon nicht mehr in den Gefängnissen. Aber zunehmend gibt es in den Haftanstalten Unruhen und Revolten. Am 9. Juli revoltieren Häftlinge der Untersuchungshaftanstalt Leipzig; 49 von ihnen flüchten nach einem Tränengaseinsatz der Polizei auf das Dach. Dort spricht Diestel mit ihnen, und es gelingt ihm tatsächlich, den Aufstand zu beenden.
Zum Ende der DDR wird die Lage immer dramatischer. Am 19. September verschanzen sich vier Häftlinge der Strafanstalt Brandenburg im Dachgebälk des Gefängnisgebäudes und drohen, sich vom Dach zu stürzen, wenn ihre Forderungen nach allgemeiner Amnestie, Überprüfung früherer Urteile und Verbesserung der Haftbedingungen nicht erfüllt werden. Zehn Tage später, am 28. September, kurz vor dem Beitritt, beschließt die Volkskammer ein Gesetz über eine Teilamnestie. Außer Schwerverbrechern wird allen vor dem 1. Juli in der DDR verurteilten Häftlingen ein Drittel ihrer Strafe erlassen. Daraufhin entspannt sich die Lage in den Gefängnissen.
Diestel: »Es gab, im Wesentlichen von Bündnis 90 propagiert, eine große Bedürftigkeit zu amnestieren. Also im ganz großen Stil. Dem haben wir uns ganz bewusst entgegengestellt, weil die Sicherheitsstrukturen noch relativ ungefestigt waren. Wir haben Polizeistrukturen, wir haben Geheimdienststrukturen abgebaut. In dieser Situation die Kriminellen im großen Stil aus den Haftanstalten zu entlassen hätte große Konsequenzen nach sich gezogen. Deswegen waren wir da sehr zögerlich und haben gesagt, das kann mal im Rah men einer deutsch-deutschen Rechtsangleichung irgendwann ge schehen, wenn es da zu rehabilitierende Unterschiede geben sollte.
Man muss, wenn man den Strafvollzug der DDR betrachtet, natürlich den ganz anderen Ausgangspunkt und Ansatz sehen. Der Strafvollzug der DDR ist einfach ein rückständiger Bereich der Gesellschaft gewesen, das kann man nicht anders sagen. Er war im Wesentlichen auf Strafen orientiert, auch wenn die Resozialisierung im Gesetz festgeschrieben stand, aber die materiellen Bedingungen, die Unterbringung, die Verwahrung der Gefangenen, die Betreuung der Gefangenen waren natürlich aus heutiger Sicht in hohem Maße bedenklich. Es wird sehr häufig der Fehler gemacht, den Strafvollzug des MfS und den allgemeinen Strafvollzug in einen Topf zu schmei ßen und zu sagen, alle Strafgefangenen des MfS sind politische Gefangene. Das ist nicht so gewesen. Das Ministerium für Staats sicherheit hatte nach der Rechtsordnung der DDR auch kriminalitätsuntersuchende, vorbeugende, ermittelnde Aufgaben, und da geschah es auch, dass Schwerstverbrecher durchaus in den Haftstrukturen der Staatssicherheit waren – deswegen waren sie noch lange keine politischen Straftäter. In meiner Amtszeit wurden aber dann die Haftanstalten der Staatssicherheit mit den allgemeinen zusammengelegt, und da gab es natürlich auch große Unzufriedenheiten, weil die Versorgungsquoten in diesen ehemaligen Haftanstalten des MfS doch wesentlich besser waren, auch die kulturelle und
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