Die letzten Monate der DDR: die Regierung de Maizière und ihr Weg zur deutschen Einheit
›Herr Kollege, geben Sie mir Ihren besten Mann, damit ich diese für mich fremden und für mich auch ausgesprochen unsympathischen geheimdienstlichen, nachrichtendienstlichen Strukturen, Arbeitskomplexe aufarbeiten, neutralisieren, bewältigen kann.‹
Und da kriegte ich dann, relativ zügig, einen sehr eloquenten Herrn zur Seite gestellt, der dann auch in meinem persönlichen Ministerbereich tätig war, Herrn Dr. Werthebach 32 , den späteren Innensenator in Berlin. Ein sehr verdienstvoller, kluger Jurist, der mir später
Eckart Werthebach war 1991 bis 1995 Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz.
sagte, als die Arbeit zu Ende ging, er habe noch nie in seinem Leben so viele Abenteuer erlebt wie in dem halben Jahr an meiner Seite. Also mit Werthebach hatte ich dann einen sehr verlässlichen Partner. Aber ich merkte, dass ihm doch eine große Skepsis entgegengebracht wurde, weil man Herrn Werthebach kannte und wusste, er kommt aus dem Bereich des Nachrichtendienstes der anderen Seite.
Also brauchte ich noch welche aus den ehemaligen Strukturen der Staatssicherheit. Und dann habe ich sehr viele Gespräche mit Markus Wolf geführt, der mir entsprechende Kontakte und Gesprächspartner organisierte. Wir haben sehr gute Arbeitskontakte entwickelt. Diese Gespräche sind mir natürlich vorgeworfen worden. Einerseits der Liebling der Medien und andererseits jemand, der mit ehemaligen Stasi-Generälen und Verfassungsschützern und Bundesnachrichtendienstlern agiert. Das hat mir natürlich große Feindschaft und große Aggressivität eingebracht.
Aber meine Aufgabe war nicht, der mediale Schönling zu sein. Ich wäre gern der Liebling der Medien geblieben, der hemdsärmelig Gefängnisrevolten beendet, der als schönster Minister ausgezeichnet wird und der in Bayreuth hervorragende Figur bei den WagnerFestspielen machte. Aber das war nicht meine Aufgabe. Meine Aufgabe war, den qualifiziertesten, effektivsten Geheimdienst, die am stärksten militarisierte geographische Region, nämlich die damalige DDR, 108000 km², militärisch zu zergliedern, zu befrieden und mit diesen Menschen und diesem Waffenpotential einen Beitrag zu leisten, der sich dem Prozess der deutschen Einheit nicht entgegenstellt.«
Die Stasi-Zentralen werden von der Polizei bewacht. Innenstaatssekretär Eberhard Stief: »Das war eine Festlegung der Innenministerkonferenzen. Es ging ja um die Neuorganisation der Volkspolizei, um die Veränderung ganz bestimmter Aufgabengebiete. Das MfS spielte in diesem Fall gar keine Rolle mehr. Es war ja im Grunde genommen reorganisiert im Sinne von Auflösung, die nicht an einem Tag erfolgte, sondern kontinuierlich. Und die Polizei hat dann ganz bestimmte Kontrollaufgaben übernommen. Ein neues Polizeiordnungsgesetz war in Arbeit, und im Vorgriff auf die Ergebnisse wur den solche Festlegungen getroffen, die aber sehr beruhigend gewirkt haben. Das betraf ja auch andere Zuständigkeitsbereiche: Feuerwehr, Strafvollzug, Gerichtsmedizin, eine Fülle von Aufgaben, und die wurden alle in eine Form gebracht, dass sie dem bundesdeutschen Recht so weit wie möglich entsprachen. Und die Polizei wurde sozusagen zu zivilen Ordnungshütern ohne andere Verpflichtungen oder Ermächtigungen.
Die Bundesrepublik hat auf der Grundlage einer Vereinbarung der Innenministerkonferenz Berater geschickt, die in allen Bereichen und nicht nur auf oberer Ebene, sondern auch in den Bezirken, in den Kreisen, in den verschiedensten Einrichtungen tätig wurden. Die Kommunen haben Leute entsandt. Es sind Hunderte gewesen, wenn nicht sogar Tausende, und sie waren überall. Unser hochgeschätzter Abschnittsbevollmächtigter ist sicherlich auch geschult wor den. Die haben das dort vermittelt oder unsere Leute zu Lehrgängen eingeladen. Und vielleicht ist da auch der ein oder andere ab handengekommen.«
»Warum gibt es seit dem Amtsantritt der De-Maizière-Regierung im Grunde keine Polizistenwitze mehr?«, fragt Diestel. »Der Polizist in der DDR hat das dargestellt: dick, dümmlich und der Hauptfeind der Bürger! Ich habe von Anfang an versucht, das Polizeibild zu ändern, weil ich wusste, eine Demokratie geht ohne Polizei nicht. Wir hatten in Berlin-Hellersdorf eine große Polizeischule. Da war auch eine Truppe, die sich mit weltanschaulich-ideologischen Dingen beschäftigt hat. Dort gab es einen Professor, den habe ich am zweiten Tag zu mir bestellt und habe ihm gesagt: ›Ich möchte ein anderes Erscheinungsbild des
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