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Die letzten schönen Tage

Die letzten schönen Tage

Titel: Die letzten schönen Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Krausser
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die
Straße komme.
    Aber wenn das Vertrauen
schwindet?
    Was, wenn die Ampelmännchen
lügen?
    Was bedeutet: Ich liebe dich –
? Das kann sehr viel bedeuten.
    Wenn die grünen Ampelmännchen
die roten Ampelmännchen überwältigen, allen Straßen der Kreuzung freie Fahrt
vorgaukeln. Einfach, um mal wieder einen großen Crash zu sehen.
    Ich liebe dich, sagt Kati. Sie
sagt es mal so, mal so. Mal mit Inbrunst, mal geflüstert. Immer kann es was
bedeuten oder nichts. Ich glaube, daß es da ein rotes Ampelmännchen gibt, das
seine Arme ausbreitet vor ihr. Ich wills ihr nicht beweisen. Noch hält die
Unschuldsvermutung. Aber wenn ihr Handy vibriert, beschleicht mich eine Angst. Ich
will sie nicht verlieren, dabei, wenn es so wär, dann hätt ich sie ja schon
verloren. Will ich sie dann wieder? It
is twenty years ago today, Sgt. Peppers Band began to play.
    Sie ist so oft wie ein
Supermarkt um sieben Uhr morgens, der erst in einer Stunde aufhat. Falls es
nicht Sonntag ist, dann macht sie gar nicht auf. Und niemand weiß, ob heute
Sonntag ist. Ich vertraue dem Staat, daß er denjenigen mit Strafe verfolgt, der
mir Böses will. Ich stehe unter dem Schutz des Gesetzes. Alle anderen vertrauen
ihm auch, die allgemeine Angst vor Strafe bewahrt das Gleichgewicht des
Schreckens. Die Gesellschaft ist ein eiseskalter Krieg.
    15. Dezember
    Serge redete heute
davon, daß wir einfach nicht zusammenpassen würden. Er sagte mir auf den Kopf
zu, daß ich niemals einen Orgasmus mit ihm gehabt hätte. Das stimmt, aber warum
ist das so wichtig? Mir ist das weniger wichtig als ihm. Er tut wie ein
Altruist, aber ich glaube, er bezieht aus dem Orgasmus der Frau die Bestätigung
seiner selbst. Das ist nicht altruistisch, das ist eitel. Er bot mir an, unter
uns einen Schlußstrich zu ziehen. Ich sagte, daß das für mich nicht infrage
komme, denn mir läge viel an ihm. Diese Formulierung war absichtlich gewählt,
um nicht pathetisch zu klammern und ihn mit einer Liebeserklärung schief
dastehen zu lassen. Wenn jemand weg will, soll man ihn freigeben, bevor es
häßlich wird. Man kann niemanden festbinden. Serge sah mich durchdringend an
und meinte, daß es für eine Beziehung nicht genüge, wenn einem am anderen nur
noch ›viel liege‹. Da wurde ich etwas zornig, denn er drehte mir ja die Worte
im Mund herum und gab ihnen einen anderen Sinn. Ich sagte, daß er offensichtlich
auf Krawall gebürstet sei und daß ich seine rhetorischen Spielchen nicht
mitmache. Wenn er sich von mir trennen will, sagte ich ihm, soll er mir den
Grund nennen, damit ich damit umgehen kann. Und er fragte mich, ob ich einen
anderen hätte. Ich sagte Nein, und es wunderte mich selbst, wie gut und
kaltblütig ich in diesem Moment, ohne auch nur eine Zehntelsekunde zu zögern,
lügen konnte. Vielleicht, weil es genau genommen keine Lüge war, denn ich habe
mit David ja Schluß gemacht. Serge sah mir tief in die Augen, dann schüttelte
er wie wild den Kopf, begann zu weinen und bat mich um Verzeihung. Die
Jahreszeit mache ihn verrückt, es gehe mit ihm bergab, er würde Dinge sagen,
die er nicht so meine, und nichts wünsche er so sehr, wie nicht allein zu sein
in seinem Elend. Er nahm mich in die Arme, bohrte seine Stirn zwischen meine
Brüste und bat darum, ihn nicht ernst zu nehmen, wenn er so daherredet. Ich
dürfe ihn, sagte er flüsternd, jederzeit verlassen, wenn ich es nicht mehr mit
ihm aushalten könne, er sei dankbar für meine Liebe, auf mein Mitleid würde er
aber lieber verzichten. Es ist schwer zu beschreiben, was dieser hemmungslos
flennende Mensch in mir ausgelöst hat. Es war, als müsse ich mich in einem
Augenblick zwischen Abscheu und bedingungsloser Empathie entscheiden. Wie eine
Mutter, die ihr Kind zum ersten Mal in der Hand hält und sieht, daß es schwer
behindert ist. In einer Sekunde entscheidet sie sich, so stelle ich es mir vor,
ob sie es für immer lieben oder weggeben soll, für ein bequemeres Leben. Und es
fällt mir schwer, das niederzuschreiben, aber: In meinem Innersten vertagte ich
die Entscheidung. Mir war das zu viel. Ich habe Serge geküßt, überall, um
irgendwas zu tun. Und zugleich verabscheute ich ihn dafür, daß er sich so vor
mir gehen ließ.
    Warum kannst du nicht einfach
wieder so sein, wie du warst, habe ich ihn stumm angeschrien. Endlich beruhigte
er sich, bekam eine Erektion, und es war, als würde er diese Erektion selbst
als grotesk empfinden in der Situation, in der wir uns befanden. Ich hab ihm
einen runtergeholt,

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