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Die letzten schönen Tage

Die letzten schönen Tage

Titel: Die letzten schönen Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Krausser
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reinzuziehen, dazu liebe ich sie zu sehr. Sie singt im
Opernchor an der Bismarckstraße. Auch nicht gerade ein Job mit enormen
Aufstiegschancen. Wir beide sind Verlierer auf Abruf. Aber das gilt für alle
menschlichen Existenzen, die nicht mindestens Borten heißen. Borten ist 56
Jahre alt. Er wird mit einer mathematischen Wahrscheinlichkeit von knapp
siebzig Prozent früher sterben als ich. Und was er dann war, ist egal. Er wird
weg sein. Kati und ich sind dann noch ein bißchen da. Ist das Zeit genug, um
Kinder in die Welt zu setzen? Was mich an vielen Menschen so stört: Sie nutzen
ihr kleines Zeitfenster, reproduzieren sich und hoffen auf das Beste. Und das
Unverschämte ist: In vielen Fällen geht das gut. Als wär da weiter nichts
dabei. Die Menschheit hat es sich immer zu einfach gemacht. Das kommt, weil sie
Verluste leicht verschmerzen kann. Sie kann mit Schwund gut umgehen. Sonst gäb
es auch nicht all die Kriege. Als Individuum kann man sich Schwund nicht
leisten, man hat nur das eine Leben und gibt darauf acht. Was blödsinnig ist.
Unsre kleine Kerze brennt im All neben riesigen Sternen, wir beschützen sie vor
jedem Wind, der sie ausblasen könnte – und ihr doch frische Luft zufächern
würde, gäb es Luft im Vakuum und würde eine Kerze darin brennen. Damit sie,
wenn auch kurz, noch heller brennt. Immer, wenn ich trinke, werde ich heroisch.
Am Morgen bin ich wieder feige.
    7. Dezember
    Ich habe David heute
gesagt, daß ich künftig auf ihn verzichten möchte.
    Er hat nur gelacht und gesagt,
den kennt er schon, den bring ich jedes Mal, wenn ich meine Tage kriege. Dieser
arrogante Frosch. Er macht es mir einfach. Serge war gestern Nacht betrunken
und hat wirres Zeug geredet über Sterne und Kerzen. Der Tenor war, daß er nie
den Mut gehabt hat, so zu leben, wie einer lebt, der Talent hat und den Willen,
etwas aus sich zu machen. Talent sprach er sich zu, aber am Willen habe es ihm
immer gemangelt, und mutig seien vor allem die Idioten, die sich selbst
überschätzen. Ich mußte mir das geduldig anhören und ihn trösten. Kommt in
letzter Zeit immer öfter vor. Ich liebe ihn deshalb nicht weniger. Im Januar
kommt das wieder in Ordnung.
    10. Dezember
    Kati hat sich
letzthin so rührend um mich gekümmert, so was ist reinen Engeln vorbehalten.
Oder entstammt einem schlechten Gewissen. Sie hat mir zweimal gesagt, daß sie
mich liebt – an nur einem Abend. Diese Überbetonung muß einen doch mißtrauisch
machen. Es bedeutet vielleicht, sie liebt mich, auch wenn sie einen anderen
fickt. Kati ist nicht der Typus eines reinen Engels, die sind auf Erden selten
gestreut. Sie ist gutherzig, das schon, also nicht übertrieben böse. Im Übrigen
kann ich nachvollziehen, wenn sie die Lust an wem verliert, der nicht einmal
ein Highlight der Evolution – Frauenbeine – angemessen besingen und bewerben
kann. Sie schläft meist nur mit mir, wenn ich drauf dränge oder darum bitte.
Dann aber tut sie es immer. So was macht man doch nur, wenn man was zu
vertuschen hat. Als wir neulich zusammen waren, merkte ich, daß es ihr wehtat,
und ich fragte: Tut es dir weh? Und sie: Ach wo. Sie stritt es einfach ab, und
so salopp. Fast frech. Wenn ich Kati fragen würde, warum sie nie aus eigenem Antrieb
mit mir schläft, würde sie wahrscheinlich sagen, daß sie das zu aufdringlich
fände, ich könnte mich genötigt fühlen und unter Druck gesetzt. Sie würde so
tun, als würde sie meine Frage nur als Frage verstehen, gar nicht als Vorwurf.
Ich muß das Positive sehen: Kati liebt mich. Oder bildet es sich wenigstens
ein. Aber wie kann man jemanden wie mich lieben, wenn man nicht nebenbei gut
gefickt wird? Als junge, gut aussehende Frau mit Bedürfnissen ist es ganz
normal, heutzutage, daß man für sein leibliches Wohl sorgt. Sie ist ja keine
Landpflanze. Kann ich mich damit zufrieden geben, daß sie mich nur liebt? In
meinem Kopf schwappt vieles hin und her, ein Mordsdurcheinander, und ich weiß
nicht mehr, welche Schlüsse zu ziehen sind. Ich will nicht in der Gosse landen
ohne Kati. Und ich will Kati nicht da reinziehen, in meine Gosse. Ich muß mich
von ihr trennen, weil ich sie liebe. Alles in der Zivilisation basiert auf
Vertrauen. Vertrauen zu den Zeichen.
    Ich vertraue dem Schild, das
sagt, der Supermarkt öffnet um acht. Um sieben Uhr morgens gibt es da nichts zu
holen, und man steht sich eine Stunde lang die Beine in den Bauch, vertraut man
diesem Zeichen nicht. Ich vertraue der grünen Ampel, daß ich heil über

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