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Die letzten schönen Tage

Die letzten schönen Tage

Titel: Die letzten schönen Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Krausser
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ihn hilflos gefragt, wohl, weil er noch mit der
Möglichkeit spielte, ein geniales, aber zu tiefgründiges Konzept nicht
verstanden zu haben.
    Borten zeigte sich dankbar,
als ich aufstand und das alles einen Haufen unausgegorener Metaphysik nannte,
um drei Ecken zu viel gedacht. Ja, genau, stimmte er mir zu, sehr erleichtert,
so gehe es ihm auch. Plötzlich flippte Serge aus, er könne rund um Weihnachten,
einem völlig verlogenen Fest dummer Christen, die tiefere Wahrheit eines
Frauenbeins eben nur mündlich und andeutungsweise besingen, die Kampagne, seine
Kampagne, basiere auf radikaler Optik, er zeigte mit beiden Zeigefingern auf
mich, als fehle seinem Genie nur ein kongeniales Pendant der Veranschaulichung.
Ich weiß nicht, ob er noch ganz klar im Kopf war, ob er im großen Stil bluffte
oder alberne Spielchen spielte, aus purer Verzweiflung. Drogen trau ich ihm
nicht zu.
    Fast tat er mir leid. Dennoch
stand ich auf und erklärte, mit solch diffusen Vorgaben bislang leider recht
wenig anfangen zu können. (Eigentlich waren sie soo diffus gar nicht, aber sein
Gehabe ging mir auf den Sack, und er fickt Kati. Und schlecht.)
    Serge sah mich an und hob
beide Hände, ein bißchen wie diese potthäßliche Statue in Rio. Am rechten
Zeigefinger trug er ein dickes Pflaster. Und plötzlich pinkelte sich Serge in
die Hose, seine hellblaue Jeans verfärbte sich dunkel, und rund um seine Füße
entstand eine Pfütze. Uns allen stand der Schreck ins Gesicht geschrieben,
Fremdscham auch.
    Borten beendete das Meeting,
vertagte es vielmehr, er bat alle, das Zimmer zu verlassen. Und Serge begann zu
schreien. Nur Töne, keine Worte, er kreischte, in enormer Lautstärke, vor sich
hin. Man kümmerte sich nicht um ihn, schloß ihn im Zimmer ein und rief einen
Notarzt.
    Einerseits verständlich, man
mußte wirklich Angst vor ihm bekommen.
    Andererseits – wir wären fünf
gewesen, was hätte er uns schon tun können? Entgegen meinem Vorsatz habe ich
Kati eine SMS geschrieben, daß wir uns doch noch mal
unterhalten sollten, es sei grad eben mit ihrem Liebsten etwas äußerst
Seltsames geschehen. Etwas Alarmierendes. Sie wollte natürlich sofort alles
wissen. Und ich hörte ihre Stimme so gern.
    *
    It is twenty years ago today, Sgt. Peppers Band began to play. FUCK ! Plötzlich,
fünf Minuten vor dem Treffen mit den Dränglern und Zänkern und Stänkern, war
mir alles klar. Das Konzept für Passion muß gigantisch und verwirrend werden.
Unfaßbar für Menschen nur mittlerer Gangart. Galaktisch. Es muß jedem, der es
ansieht, Tränen in die Augen treiben ob der eigenen
Vergänglich-/Unzulänglichkeit. Das Frauenbein an sich – der Altar des
allzumenschlichen Begehrens, eine Chiffre ewig gültiger Lüsternheit, eine Stufe
auf der Jakobsleiter –, hinan mit Goethes Worten, hier ists getan, hier
wirds Ereignis.
    Eroberung des Alls. Verehrung
des Lichts. Das war so klar. So logisch. Ergreifend. Und ich begann zu reden
vor den Zänkern und Stänkern und Eseln. Hatte sie schon in der Tasche. Bis
einer, der Dümmstbockigste von allen, David Kleinmann, aufstand und Zweifel
säte zwischen all die schönen Entwürfe. Um sich auf meine Kosten zu
profilieren. Er sehe nichts, er sei blind. Ach, hab ich gesagt und nochmal ach,
und ich wollte sagen und sagen, aber da war nichts zu sagen, nichts so schön zu
sagen wie zu pissen auf alles, was er sagte, und ich pisste und lachte.
Hallelujah. Man muß auch mal Stellung beziehen. Die Stille hinterher – wie ist
die einzuordnen? Diese lange Stille.
    25. Dezember
    Das Weihnachtsfest
verlief so traurig wie noch nie. Serge ist immer noch nicht ansprechbar. Er ist
sehr verwirrt, und die Medikamente scheinen ihn nur zu ermatten. Dr. Borten hat
mit mir gesprochen und sich großartig verhalten. So eine Krise komme vor, gehe
auch wieder vorbei, bei kreativen Kräften in ständigem Stress müsse man mit
derlei rechnen. Es sei sein Fehler gewesen, ihn überfordert zu haben. Wenn
Serge sich nur geäußert hätte, einmal etwas gesagt, einmal mit dem Zaunpfahl
gewinkt hätte, aber leider … Er rückte dann noch nah an mich heran und forderte
mich auf, für Serge da zu sein. Die Frau sei die natürlichste Heilung für den
Mann. Ob er Serge eine neue Chance geben würde, fragte ich ihn, und er guckte
wie ein Auto. Selbstverständlich, murmelte er, selbstverständlich. Seinen
besten Angestellten wolle er doch nicht wegen einer solchen Lappalie verlieren.
David ist sich wegen seiner provokanten Haltung keiner Schuld

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