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Die letzten schönen Tage

Die letzten schönen Tage

Titel: Die letzten schönen Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Krausser
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während er teilnahmslos zur Decke sah, danach wirkte er von
allen Sorgen befreit und schlief an meiner Brust ein, wie ein sattes Kind.
    Weiß Gott, wie Männer ticken.
Es wird mir für immer ein Rätsel bleiben.
    Gottseidank.
    16. Dezember
    It is twenty years ago
today, Sgt. Peppers Band began to play – dieser Ohrwurm macht mich fertig. Er gefährdet mich
physisch. Heute habe ich Karotten- und Ingwerstücke in den Mixer getan, um sie
für eine Karotten-Ingwer-Suppe zu zerstückeln. Ich habe mich geärgert, weil der
Mixer nicht funktionierte. Er pürierte weder die Karotten noch den Ingwer, ließ
viel zu große Stücke übrig. Die Messer drehten sich wie vorgesehen, es war
ihnen kein direkter Vorwurf zu machen. Und doch – da wurde kein Brei draus. Es
war, als würden die Messer immer eine Lücke finden, um pflichtgemäß zu wirbeln
– und doch nichts zerstückeln zu müssen. Eine große Verarsche. Das wurde
einfach nicht heiß. Und ich prüfte die Temperatur – steckte meinen linken
Zeigefinger hinein. Mann, tat das weh! Der halbe Fingernagel ab. Mit allem
daran hängenden Fleisch. So viel Blut. Es spritzte aus mir heraus, eine rote
Ejakulation. Beinahe hätt ich den Notarzt holen müssen. Ich konnte die Blutung
dann stillen, mit einem Handtuch. Kam mir so blöd vor. Ich kann das nicht
erklären. An rotierenden Klingen die Temperatur zu prüfen – erschien mir
normal, selbst als es schon passiert war. Jetzt fehlt mir eine Fingerkuppe. Als
Kati und ich in Venedig waren, in unserem ersten Jahr, da standen wir mal am
Wasser und sahen hinein, und ich hatte so große Lust, Kati spontan einen Schubs
zu geben, damit sie in den Kanal fällt. Ich wußte jedoch, ich darf das nicht
tun. Aber vielleicht hätte sie mich genau dafür geliebt, wäre sie wieder
trocken geworden. Ich hab ihr das Szenario geschildert, sie meinte, hätt ichs
getan, wäre sie abgereist und nie wiedergekommen. Aber Frauen lügen, wenn es um
elementare Dinge geht. Nicht, daß sie bewußt lügen, nein, man kann sich nur
eben nie sicher sein, was sie wollen. Sie hassen nur die Langeweile. Obwohl sie
ja von ihrer Natur her auf nichts so scharf sind wie Geborgenheit,
Versorgtheit, Ödnis auf hohem Niveau.
    *
    Kati hat mal wieder
mit mir Schluß gemacht. Ich habe das anfangs nicht ernst genommen, aber nun
sind es schon neun Tage, da sie nichts von sich hören läßt. Rekord. Ich
vermisse sie, wenn ich ehrlich bin, mehr als ich es für möglich gehalten hätte.
Natürlich darf man da nicht aktiv werden, man muß nur warten, einfach warten,
das ist das ganze Geheimnis. Da kommt noch was. Oder es kommt nichts, dann war
es das. So einfach.
    Aber ich vermisse sie. Sie hat
von Anfang an darauf bestanden, daß das zwischen uns nur was Flüchtiges sei und
was Körperliches. Das war mir sehr recht gewesen. Ganz hervorragend fand ich
das. Sie ist ein guter Fick, ansonsten ein bißchen fade. Dachte ich. Aber es
gibt langweiligere Frauen. Was sie an Serge findet, mag ihr Geheimnis bleiben.
Der tickt nicht richtig, das hab ich immer geahnt. Heute Nachmittag beim
Meeting, als er das Konzept für die Passion-Kampagne präsentieren sollte,
dessen fotografische Umsetzung dann wohl an mir hängen bleiben wird, hat er
viel Worte gemacht, über Sterne und Kerzen palavert und über den Mut, die
erregende Schönheit einer perfekten Frauenbeinsilhouette sowohl schön als auch
erregend in Szene zu setzen, ohne die Würde der Thematik bloßzustellen durch
simple Erotik. (Hä?) Ihm schwebe eine Galaxie vor, deren Umriss genau einem von
Picasso gemalten Frauenbein entspräche. (Das ist gar nicht Picasso, er meint
Cocteau, glaube ich.) Nur daß die Sterne jener Galaxie aus kleinen Kerzen
bestehen sollten, wie die Teelichte, die man am Altar einer Madonna aufstellt,
als Votivkerzen für die kleinen und feinen Wünsche des Alltags. Er habe, sagte
er, kein Bildmaterial, weil man das erst digital entwickeln müsse. Aber den
Text, daß Sterne nur große Kerzen seien im All, und, sinngemäß, daß Frauenbeine
von Passion-Strümpfen aufgewertet würden wie Kerzen zu Sternen, also das
Heimelig-Kuschlige zeichensetzend triumphiere vor dem Hintergrund eines
unendlich expandierenden Kosmos. So ungefähr. Niemand hat das verstanden, und
jeder im Raum, einschließlich meiner selbst, fragte sich, ob er nicht richtig
aufgepaßt hatte oder einfach erschüttert sein mußte. Borten hält immer noch
viel von Serge, aber selbst er glaubte sich von ihm verarscht. Wie meinen Sie
das denn genau, hat er

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