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Die letzten schönen Tage

Die letzten schönen Tage

Titel: Die letzten schönen Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Krausser
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an, packte sein
Zeug, und wir bestiegen den Aufzug, niemand schritt ein. Das neue Jahr wurde
eben bejubelt, und sonderbarerweise stand vor der Klinik ein Taxi, dasselbe,
mit dem ich gekommen war. Ich nannte dem Fahrer meine Adresse, der Himmel
füllte sich mit Feuerwerk, und Serge kicherte immerfort in sich hinein,
verhielt sich aber, wenn man so sagen darf, regelkonform. Kaum auffällig, nein,
er streichelte meine Schenkel, während wir zu mir fuhren, und daß er Hunger
habe, sagte er. Ich hab ihm Brot und Spiegeleier gemacht, die wollte er nicht
essen. Zu große Augen hätten die. Er wollte mich, und ich gab mich ihm.
    Es ging schnell, und ich
dachte an Bortens Worte: Die Frau sei die natürlichste Heilung für den Mann. So
fanden wir ins neue Jahr. Zum ersten Mal liebte ich sein Schnarchen, es zählte
einzig, daß er bei mir war und gern. Am Morgen kam mir eine Idee, wie Serges
Heilung beschleunigt werden könnte. Wir könnten irgendwohin fahren, wo es nicht
kalt ist, wo kein Schnee liegt und die Sonne scheint. Das schlug ich Serge vor.
Medikamente hat er noch für zwei Wochen. Ich bat ihn auch, sein Tagebuch weiter
zu führen, denn ich finde es sinnvoll, daß er seinen Tagesablauf reflektiert
und vor sich selbst rechtfertigt. Er ist mit allem einverstanden und nennt mich
seine Heldin. Ich habe Freunde in Malta, bei denen wir unterkommen könnten. Sie
sind ebenso einverstanden, aber ich habe ihnen nichts über Serges Krankheit
gesagt, was wohl nicht in Ordnung ist. Notfalls nehmen wir ein Hotel, ich habe
noch dreitausend Euro auf dem Konto, mein Englisch ist gut, wenn gar nichts
mehr geht, werde ich arbeiten, als Touristenführerin oder sowas.
    Die kurzfristig gebuchten
Flüge sind leider recht teuer.
    Serge ist heilfroh, aus der
Klinik raus zu sein, Krankenhäuser sind ihm verhaßt. Ansonsten ist ihm alles
ganz peinlich, er hat Angst, wieder aus der Rolle zu fallen. Zwischendurch dann
ist er wieder selbstbewußt, sogar zu Scherzen aufgelegt. Seltsamerweise kamen
weder er noch ich auf die Idee, daß er ja auch finanzielle Rücklagen besitzt.
So sehr überwog in meinen Augen der Eindruck, es mit einem in jeder Hinsicht
auf Hilfe angewiesenen Mann zu tun zu haben. Wir sahen am Bankomaten nach. Sein
Guthaben beträgt samt Dispo fast zwölftausend Euro. Wir können uns, ohne zu
sparen, ein halbes Jahr Auszeit nehmen. Ich bin sicher, das ist es, was er
braucht, und neue Medikamente werden dann nicht mehr nötig sein. Meinen Job an
der Oper kann ich haken, aber das ist nicht wichtig, ich komme schon wieder
irgendwo unter. Serge liebt es, wenn ich ihm ein Lullaby singe. Er sagt, ich
hätte die weicheste, schokoladigste Stimme der Welt, und wenn er sie höre, sei
es, als würde auf einem heißen Steak Kräuterbutter schmelzen. Es fließe
ineinander, was ineinander gehört. Solche Vergleiche hätte er früher nie
benutzt, und sie wirken merkwürdig aus seinem Mund, obwohl an ihnen vorderhand
nichts auszusetzen ist.
    *
    Kati hat mich
überrascht. Man kann auch sagen, überrumpelt. Sie hat uns Flugtickets besorgt.
Nach Malta, in die Sonne. Das soll mir guttun. Sie wollte dann ernsthaft
wissen, wie meine Finanzen bestellt sind. Ist das nicht ein wenig indiskret?
Ich wußte auch gar nichts über meinen Kontostand. Sie drängte darauf, daß wir
gleich zum Bankomaten gehen und nachsehen. Es sei doch, sagte sie, wichtig für
unsere Zukunft. Na gut, sie gab keine Ruhe, wir gingen zur Bank, und ich
stellte fest, daß ich einschließlich Dispo über fast zwölftausend Euro verfügen
kann. Kati wirkte ganz glücklich, fast euphorisch. Das hat mich, wenn ich
ehrlich bin, gestört. Soll ich den Aufenthalt auf Malta alleine bezahlen? Wozu?
Wozu tut sie das alles? Daß sie ihren sicheren Job an der Oper riskiert, als
wäre sowas von keinerlei Bedeutung – ich verstehe es nicht. Sie sagt andauernd,
daß alles nur meiner Gesundheit dient. Mir geht es doch wieder ganz gut. Ist es
wirklich so wichtig, weit wegzufahren, wo mich niemand kennt und ich niemanden
kenne? Kati hat jetzt die Hosen an, und sie liebt mich. Sagt sie. Ich muß ihr
vertrauen. Wem kann ich denn vertrauen, wenn nicht ihr? Aber wenn sie mich nur
benutzt, um aus ihrem eigenen Leben auszubrechen? Damit ich ihr ein paar Monate
in Malta finanziere? Ich will so etwas nicht denken. Und muß es denken. Sie ist
romantisch und leichtfertig. Dabei resolut. Sie zwingt mich in ihre Spur,
verhält sich, als sei sie meine Mutter. Da rebelliert in mir alles. Vielleicht
weiß sie einfach

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