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Die letzten schönen Tage

Die letzten schönen Tage

Titel: Die letzten schönen Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Krausser
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der Torso Apolls mich anstarrt, verstehst du? Obwohl da kein Gesicht
ist, kein Mund, der explizit etwas sagt. Und ich denke, alles hat damit zu tun,
daß ich mir unwillkommen vorkam, daß Ma immer so tat, als sei ich eine
Belastung zu viel für sie.
    – Du redest kompletten
Quatsch, Brüderchen. Auf Händen hat sie dich getragen. Herrgott, wir waren nun mal Belastungen. Ich mußte viele Aufgaben übernehmen im Haushalt, du
wurdest gehegt und gepflegt. DU warst doch ihr verklärter Wonneproppen, und
wenn jemand Grund hatte, eifersüchtig zu sein, dann war ICH das.
    – Ehrlich? Hast du das
wirklich so empfunden?
    – Na klar. Du warst immer
schon eine Mimose. Leicht kränklich und voller Selbstmitleid. Hattest auch
stets eine Ausrede parat. Entschuldigung, wenn ich dir zu nahe trete. Aber als
du schon sieben warst, glaubtest du tatsächlich noch, du seist vielleicht ein
Mädchen, weil du im Sportunterricht mit den anderen Jungs nicht mithalten
konntest.
    – Spinnst du? Das denkst du
dir aus!
    – Nein, das war so. Ich
schwörs dir. Und ich als dein älterer Bruder hab dir dann erklärt, daß du
bestimmt kein Mädchen bist, weil du nämlich was in der Hose hast, was Mädchen
nicht in der Hose haben.
    – Darf ich dich noch was
anderes fragen?
    – Bitte.
    – Als Papa starb, warst du
sechs. Du mußt viel mehr Erinnerungen an ihn haben als ich. Haben sich unsere
Eltern gut verstanden?
    – Ich hab zwar etliche
Erinnerungen an Paps, aber wie soll ich denn bitte diese Frage beantworten? Sie
haben sich nie vor mir gestritten, glaube ich. Aber was heißt das? Tatsache
ist, daß Mama nie mehr einen anderen Mann ins Haus gelassen hat. Das spricht
schon für sich.
    – Ich glaube, ich bin
verliebt. Was blöd ist, denn diese Frau ist weder in mich verliebt, noch ist
sie frei, noch würden wir zusammenpassen.
    – Woher weißt du das?
    – Daß wir nicht
zusammenpassen? Keine Ahnung. Ist so eine Vermutung.
    – Vergiss sie einfach. Schreib
ihren Namen auf eine Tafel, und streich ihn durch. Hast dus mal mit einer
Kontaktanzeige probiert?
    – Nee. Meinst du das ernst?
    – Selbstverständlich. Du bist
doch der von uns beiden, der im Leben alles mal ausprobieren will.
    Anfang Februar hatte David
Kati endlich aus seinen Gedanken verbannt und mußte sich mit einem ganz anderen
Lebewesen herumschlagen. Seine Mutter war nach Florida geflogen und hatte ihm
zuvor ihre Katze vorbeigebracht. Die Katze war ein schwarzer kastrierter Kater
namens Johnson, elf Jahre alt, verschmust, ein echter Stubenhocker, der die
Wohnung seines Frauchens nur ganz selten einmal verlassen hatte und auf seiner
gewohnten Umgebung bestand, der gegen die unerwünschte Auslagerung
protestierte, indem er sofort auf den Wohnzimmerteppich pinkelte. David haßte
das Vieh. Aber es gab niemanden sonst, bei dem seine Mutter Johnson hätte
unterbringen können, ihre einzige Freundin, Lisbeth, begleitete sie ja in die
Staaten. Beide, seine Mutter und Lisbeth, hatten an der Oberschule unterrichtet
und waren im letzten Sommer verrentet worden. Seine Mutter hatte das in eine
kleine bis mittlere Sinnkrise gestürzt, und weil der Winter so lang und frostig
ausfiel, schlug er ihr die weite Reise vor, wobei er nie geglaubt hätte, daß
sie den Vorschlag auch nur erwägen würde. Aber das sei doch der Sinn des
Ruhestands, sagte sie (überraschend, denn sie war ein Ausbund an Sparsamkeit),
endlich reisen zu dürfen, wenn andere malochen müßten. David solle ihr im
Internet was Schickes buchen, sie würde gleich ihre Freundin fragen, ob sie
nicht mitkommen wolle. Und Lisbeth sagte prompt zu. David buchte den Frauen
eine zweiwöchige Rundreise mit Leihwagen und relativ hochklassigen Hotels. Kurz
hatte er überlegt, Jule die Reise zu spendieren, aber um derlei Geschenke
anzunehmen, war seine Mutter zu stolz. Sie hatte fünfunddreißig Jahre lang
verbeamtet unterrichtet, ohne sich je viel zu gönnen, und verfügte von daher
über genügend Rücklagen. Sie bat ihn einzig darum, einfach weil es wirklich niemand
anderen gab (außer einer Tierpension, was für sie nicht infrage kam), daß er
für die zwei Wochen Johnson zu sich nehmen würde. Er hatte in einem schwachen
Augenblick sein Okay gegeben, jetzt hatte er das Vieh am Hals. Wenigstens
kackte Johnson in die dafür vorgesehene Kiste, beim einzigen Mal, da er
überhaupt kackte. Denn fressen wollte er nicht. Jule hatte eine Liste
geschrieben, mit allen Sorten Katzenfutter, die Johnson mochte. Es schien sich
bei ihm um einen heiklen

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