und auf
eine stundenlange Phase der Trauer folgte eine des Trotzes und der Dankbarkeit.
Wem würde er davon erzählen können? Seine Freunde, selbst die wenigen, die
wirklich welche waren, würden bestimmt Emphase vortäuschen, ja, aber dann,
hinter seinem Rücken, würden sie sich mokieren, lustig machen über einen, der
ob eines toten Haustiers die Fassung verliert. David blieb lange neben dem
Kadaver sitzen, erboste sich darüber, wie schnell – es dauerte keinen halben
Tag – das tote Tier zu riechen begann. Er warf der Verwesung mit lauten Worten
Gier und mangelndes Taktgefühl vor, erschrak über sich selbst, konnte nicht
glauben, daß er sich wie ein verrückter Pädagoge gebärdete, der dem natürlichen
Zersetzungsvorgang mit Zornesreden entgegentrat. Und doch gefiel ihm genau das,
wenn er ein zweites Mal darüber nachdachte. Es erinnerte ihn daran, wie
unbekümmert, unbelastet von Erfahrungen, Kinder sich mit dem Unabänderlichen
befassen, als bliebe da noch Spielraum für Verhandlungen und nichts müsse für
gegeben genommen werden, nur weil es eben ist . Es war ein kurzes
Zurückschnuppern in eine lang vergangene Zeit. David begriff den kurzen
Schauder als sentimentales und flüchtiges Geschenk. Er gab sich einen Ruck,
trug den toten Johnson, der jetzt steif war, struppig und häßlich, in die
Küche.
Am nächsten Tag, dem 8. Februar, traf eine Mail ein, mit der er absolut nicht gerechnet hatte.
Hallo David. Wie gehts dir? Gib
doch mal kurz Bescheid. Ich bin immer noch in Malta. Wenn du mir schreiben
willst, schreib bitte an
[email protected]. Die bisherige Mailadresse verwende
bitte nicht, da auch Serge Zugriff darauf hat. Grüße, Katharina
David zögerte mit der Antwort.
Er hatte Kati schon verloren gegeben. Obwohl er sich über ihre Nachricht sehr
freute, wußte er nicht, inwieweit er sich erneut auf sie einlassen sollte. Und
was sie genau von ihm wollte. Nur ein kurzes Lebenszeichen? Einfach plauschen?
Eine Wunde brach auf. Er dachte nach. Bis ihm einfiel, daß er Kati ja eine ganz
gute Botschaft überbringen konnte. Das war sicher nicht verkehrt.
Liebe Katharina,
es wundert mich, daß du mit vollem
Namen unterzeichnest. Hast du nicht immer gesagt, du würdest diesen Namen
verabscheuen? Ich solle, hast du stets gefordert, Kati zu dir sagen. Jetzt bin
ich verunsichert, aber ich freue mich, daß du dich meldest. Gestern ist ein lebendiges
Wesen in meinen Armen gestorben, und wenn es auch nur eine Katze war, so wars
das erste Erlebnis dieser Art für mich. Ich bin traurig und hilflos, der lange
Winter deprimiert mich einfach nur, und ich müßte meiner Mutter, die mir diese
Katze anvertraut hat, die Wahrheit sagen, aber ich kann es nicht und bin sauer
auf den blöden Kater, der lieber gestorben ist, als von mir Nahrung anzunehmen.
Ich will meiner Ma nicht den Urlaub verderben, eben hat sie angerufen, und ich
entschloß mich, sie zu belügen, es sei alles in Ordnung mit Johnson – so heißt
der schwarze Kater, vielmehr, so hieß er. Ich hab ihn in eine Plastiktüte und
dann in mein Tiefkühlfach gelegt, das somit endlich mal Verwendung findet. Ma
macht Urlaub in Florida, mußt du wissen. Serge soll sich keine Sorgen machen,
Borten wollte ihn rauswerfen (sag ihm das bitte nicht), aber das hab ich zu
verhindern gewußt. Seine Stelle wird ihm immer noch freigehalten. Habs gut
derweil, es grüßt dich, herzlich, David.
In der folgenden Nacht
schrieb Kati ihm erneut. David hatte den ganzen Abend zu Hause verbracht, so
gespannt war er darauf, welchen Ton sie anschlagen würde.
Lieber David,
das mit dem Kater tut mir sehr
leid. Aber warum steckst du das tote Tier in dein Tiefkühlfach? Damit deine Ma
Abschied von ihm nehmen kann, wenn sie zurückkommt? Das ist doch gruselig.
Danke, daß du dich bei Borten für Serge eingesetzt hast. Und ich dachte, du
könntest ihn nicht gut leiden. Manchmal habe ich den Wunsch, dich
wiederzusehen. Wäre das auch in deinem Sinn?
Einen lieben Gruß zur Nacht sendet
Kati (du hast recht, die Kurzform ist mir lieber, aber auch ich werde älter und
immer mehr zur Katharina).
Distanziert klang das,
vorsichtig. Als wäre auch sie sich nicht im Klaren darüber, inwieweit das alte
Verhältnis wieder aufgewärmt werden dürfte. Gern hätte David ihr gestanden,
unter der Trennung gelitten zu haben. Aber sich so bloßzulegen, wollte er ihr
und sich selbst nicht zumuten.
Liebe Kati,
das dauert hoffentlich noch lang,
bis eine Katharina aus dir wird. Die Katze im