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Die letzten schönen Tage

Die letzten schönen Tage

Titel: Die letzten schönen Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Krausser
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nicht verdruckst und ungelenk und verschattet, was
drei Adjektive sind, die mir früher bei ihm zuerst eingefallen wären. Die ganze
Zeit verhielt er sich freundlich, zuvorkommend, sehr um mich bemüht. Meinen
Beschützer zu mimen, gefiel ihm, glaub ich, ganz außerordentlich – und um ihm
zu gefallen, hab ich ein bißchen schwaches Weibchen gespielt. Jetzt, wo Ruhe
eingekehrt ist, genieße ich die Insel noch mehr. Wir gehen oft ins Kino oder an
den Strand, wo wir über das weite Meer sehen und allerhand tiefgründige
Gespräche führen, über die Endlichkeit von allem und die Schönheit, die sich
ihr entgegenstemmt, auf Dauer vielleicht erfolglos, aber darin eben liegt
Schönheit – sie kann nie ein Normalzustand sein, immer ist sie vergänglich,
fragil und herausragend. Während Deutschland einfriert, den kältesten Winter
seit fünfundzwanzig Jahren erduldet, haben wir hier Tage um die 20 Grad, und
wie ich es erhofft hatte, ist Wärme die beste Kur für Serges Seele. Ob er eine
weitere Medikation braucht, wird sich erweisen, notfalls kann ich mit ihm in
eine Klinik gehen, er ist über seine Mastercard Gold ausreichend versichert,
was ihm gar nicht bewußt war. Wir verbrauchen wenig Geld, leben von Brot, Käse,
eingelegten Peperoni, Salami und Wein – aber es ist gutes Brot und guter Käse,
passabler Wein –, und wir sehen uns all die Filme an, für die wir zu selten
Zeit hatten. Manchmal will er mit mir schlafen, ich soll ihm sagen, an welchen Tagen
ich empfänglich bin. Willst du ein Kind mit mir? Hab ich gefragt. Und er: Würde
mich glatt mal interessieren, ob wir eins gebacken bekommen. Könnens dann immer
noch wegmachen. Das war das einzige Mal, wo ich dachte: Hä? Bist du noch
zurechnungsfähig? Was willst du? Bin ich dein Testobjekt, das dir verkünden
soll, ob deine Spermien was taugen? Ich möchte von Serge nicht schwanger
werden. Nicht bevor ich hundertprozentig weiß, daß er erstens kuriert ist,
zweitens, daß er ein Kind wirklich haben will. Als mein Eisprung nahte, hab ich
Ausreden benutzt und es ihm nach langer Zeit mal wieder mündlich besorgt. Ich
fühle mich schlecht deswegen, es ist eine Form von Betrug, und daß er drüber
jubelt, macht es nicht besser. Ich hab diesen Monat zweimal die Pille vergessen
und möchte nicht darauf vertrauen, daß Serge ihn rechtzeitig rauszieht. David
hat mir noch eine SMS geschickt, die aus nur zwei Worten bestand. Alles okay? Ich schrieb ihm zurück: JA . Zwei
Buchstaben. Mehr nicht. Die kann er so und so interpretieren. Als genervtes Ja
oder als schlichte Bestätigung.
    *
    Dieses Miststück
bläst mir einen, was sie sonst nicht gerne tut, nur um sich nicht von mir
befruchten zu lassen, diese Vorsichtsschnepfe, enthält mir ihre Muschi vor, ich
darf sie nicht besprengen, und am Strand, es ekelt mich an, ist sie von ein
wenig Küchenphilosophie gleich so satt und beeindruckt, dann sieht sie überall
Schönheit und Vergänglichkeit, wo eigentlich nichts ist als Mittelmaß, das sich
seiner schämt vor den Wellen, die so nonchalant, mit der ewigen Wahrheit in der
Hinterhand, gegen die genervten Felsen schwappen. Mein Mittelmaß, das schämt
sich auch. Ich will in Kati meinen Samen pflanzen, nur, um mehr aus mir zu
machen, mich zu verlängern, im Körper einer anderen. Will etwas ausprobieren.
Ist ein Spiel, und sie durchschaut es, verdirbt es durch wohlfeiles
Gedankengut. Das ist nicht gut. Ist zu durchdacht. Ein Spiel mit mir. Die Liebe
geht ihren Weg, durch Stacheldraht, Beton und Unrat aller Art, sie findet einen
Weg, sie ist der Weg, und was da an Erfahrung warnend steht
am Wegrand, spült sie mit schönen Worten hinweg. Und immer wird das so sein,
egal, was grad gelehrt wird an den Schulen. Morgen, wenn wir nicht mehr sind,
wird etwas anderes sein. Und das ist fraglos gut und nötig. Ist anders gar
nicht denkbar. Alles, was existiert, versäumt die Pointe seines Seins.
    21. Januar
    Heute hat Serge mich
um Verzeihung gebeten, weil er mit mir hatte schlafen wollen, um mir ein Kind
zu machen, unterzujubeln, hat er gesagt. Aus einer bloßen Laune heraus,
ohne lang drüber nachzudenken, habe er den Wunsch gehabt, sich zu
reproduzieren. Und er habe mich im Verdacht gehabt, ich würde ihn nur deshalb
mit dem Mund verwöhnen, um dem Thema keine Plattform zu bieten. Das tue ihm
leid, er interpretiere manchmal was hinein in mich, um sich selbst dann
reinzusteigern, bis die Welt so aussehe wie in seinen schlimmsten
Befürchtungen. Er war ganz klar und vernünftig und

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