Die letzten schönen Tage
habe.
– Da kannst du aber nichts
für.
– Das weiß ich. Dennoch – er
tut mir leid. Was soll ich nur machen? Ich bin ganz verzweifelt.
– Bleib mal am Boden. Es
handelt sich um eine Katze. Elf Jahre alt, hast du gesagt? Wenn Johnson nicht
fressen will, stirbt er eben, das ist allein seine Entscheidung. All things
must pass. All beings auch. Cats and dogs. Ma wird darüber hinwegkommen, kauf
ihr eine neue Katze, und gut ists.
– Du redest dich mal wieder
leicht.
– Das ist eben so. Nenn es
leicht oder schwer.
– Ich will aber nicht, daß
irgendwer oder irgendwas in meiner Wohnung stirbt. Außer einer verreckten
Zimmerpflanze hatte ich so was bisher nicht im Haus.
– Dann ruf Ma an, und sag ihr
das. Dann ist es ihre Entscheidung, nicht deine.
– Kann ich nicht.
– Dann mußt du eben
experimentieren. Flöß dem Vieh Flüssignahrung ein, mit einer Spritze. Hast du
das schon ausprobiert?
– Hab ich nicht, nein.
– Weil es dir zu albern
vorkommt?
– Weil es mir zu gewalttätig
vorkommt.
– Was willst du denn
eigentlich?
– Meine Ruhe haben.
– Da willst du definitiv zu
viel vom Leben.
– Klopfst du jetzt Weisheiten
oder was?
– Sorry, aber die Kinder
wollen Frühstück. Linda hat ihre Tage und befragt dauernd den
Badezimmerspiegel, ob sie noch als lebendig durchgeht.
– Tut mir leid, dich mit so
was Trivialem belangt zu haben.
– Muß dir nicht leidtun. Ich
kann dir nur einfach nicht helfen. So ist das.
– Ciao einstweilen.
– Sag Ma schöne Grüße, wenn
sie anruft.
– Mach ich.
David beendete die
Verbindung, klappte den Laptop zu und ging ins Wohnzimmer. Johnson lag auf
seinem Wolldeckchen, auf der Seite, streckte alle viere von sich. Wie reagieren
Katzen wohl auf Koks? Wenn man ihnen ganz wenig gibt. Wars den Versuch wert?
Vielleicht. David streute drei, vier Körnchen auf ein Stück Alupapier und hielt
das Johnson vor die Nase. Der bewegte kaum den Kopf, interessierte sich nicht
für den ungewohnten Geruch und kniff die Augen zu. Sein Schwanz schlug einen langsamen Takt gegen die Sofalehne. Nicht gerade ein Zeichen völliger
Teilnahmslosigkeit. David wertete es vorsichtig optimistisch. Der Kater schien
auch gar nicht zu leiden, obwohl er vor Hunger längst hätte schreien müssen.
Vielleicht, dachte David, frißt er heimlich, wenn ich nicht zusehe. Aber was?
Der Gedanke war wohl absurd, doch für ein paar Stunden tröstlich.
Zu allem Überfluß hatte David
eine SMS seiner Mutter erhalten. Sie habe vergessen,
ein Foto von Johnson mit in den Urlaub zu nehmen, er solle ihr doch bitte eins
per Handy schicken. Erst regte er sich auf über dieses Theater, diesen schlecht
kaschierten Kontrollversuch, und er zögerte zwei Tage, überlegte, was er tun
sollte. Dann nahm er Johnson auf den Schoß und machte das verdammte Foto. Aber
im letzten Moment beschloß er, seine Mutter zu ärgern, und sandte die SMS (Liebe Mutter, tut mir leid, daß
ich das mit dem Katzenfoto verschwitzt habe. Im Anhang also das gewünschte
Porträt, wie du siehst, hat Johnson sich an mich gewöhnt, und wir vertragen
uns. Dir noch eine gute Zeit, dein David) ohne Anhang ab. Er wollte Jule zwingen, noch einmal
nachzufragen, zu insistieren, vielleicht würde ihr dabei klar werden, wie
nervtötend ihr Ansinnen war.
Zwei Tage später sah Johnson
immer noch ganz gesund aus, sein Fell glänzte, seine Bewegungen blieben,
obschon er abgemagert war, graziös und elegant, von einer bemerkenswerten
Nonchalance, die keinerlei Leiden vermittelte. Alles schien völlig in Ordnung
mit ihm, und daß er nicht fressen wollte, wirkte auf David wie eine einmal
getroffene, aber nicht spektakuläre Entscheidung. Es war etwas Erhabenes an
jener Kreatur, im Grunde nicht viel anderes als das, was Menschen an Katzen
immer schon bewundert und beneidet hatten, die absolute Freiheit des Willens,
durch nichts zu brechen oder zu korrumpieren. Dieser Kater hatte offenbar den
Entschluß gefaßt zu sterben, aus welchen Gründen auch immer. Und er machte kein
Gewese darum, fügte sich klaglos in sein selbstgewähltes Schicksal, als gäbe es
nichts Natürlicheres für ein gealtertes Tier, dessen Zeit gekommen war. David
packte Johnson im Nacken, schob ihn gewaltsam in die Transportbox, nahm, vor
Wut schreiend, ein paar Schrammen in Kauf und brachte das Tier, das kaum noch
Kraft besaß, um sich zu wehren, in ein hochtechnologisiertes Labor, in der Hoffnung,
es würde dort irgendeine versteckte organische Krankheit festgestellt,
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