Die letzten schönen Tage
Tiefkühlfach – nein, nicht, daß
ich sie meiner Mutter präsentieren will, Gott bewahre, aber sie wird mich
fragen, ob ich Johnson anständig bestattet habe. Derzeit liegt meterhoch
Schnee, der Boden ist tiefgefroren, ich könnte Johnson einfach in den Müll
schmeißen oder bei der Tierkadaverentsorgung (heißt das so?) abliefern, aber
ich will die Sache nicht noch schlimmer machen. Du willst mich wiedersehen?
Nichts lieber als das. Ich habs ja kaum zu hoffen gewagt, nachdem du dich so
abrupt zurückgezogen hast. Wie geht es denn eigentlich Serge? Hat er sich
erholt? Wie lange wollt ihr noch bleiben? Bleibt, solange ihr könnt. Das Wetter
hier ist deprimierend. Wie ich dich um Malta beneide. Wenn hier nicht endlos
Aufträge zu erledigen wären, käme ich sofort vorbei. Einen Kuß aus Frost und
Finsternis sendet dir dein David.
Vierundzwanzig Stunden später traf Katis Antwort ein.
Lieber David,
verstehe ich dich richtig? Du
willst deiner Mutter etwas vorgaukeln, bevor du ihr letztlich etwas gestehen
mußt? Kenn ich gut. Meine Mutter anzulügen, war lange Zeit die einzig geeignete
und angemessene Form, mit ihr zu kommunizieren. Haben wir je darüber geredet?
Darf ich dich um was bitten? Sag doch mal, und bitte ganz ehrlich, was du
aufregend an mir fandest und was nicht so.
Kuß aus dem sonnigen Süden, Kati
Das klang wie die
Einladung/Einleitung zu ein wenig Dirty Talk. Nein, über ihre Mutter hatte Kati
nie ein Wort verloren. Die Gespräche mit Kati waren nie in die Tiefe gegangen,
das konnte man beim besten Willen nicht behaupten. David versuchte sich zu
erinnern, worüber er mit Kati überhaupt je geredet hatte. Wenn sie nicht gerade
aufeinanderlagen, hatte sie viel über Serge geredet, seine Macken und Marotten.
Dann hatte er immer nur zugehört.
Liebe Kati,
fischst du nach Komplimenten? Du
willst, daß ich dir schreibe, was ich an dir aufregend fand? Ich habe doch nur
ein paar Stunden Zeit, bis der Wecker klingelt. Also gut, im Kurzdurchlauf, und
weil ich ein oberflächlicher Mensch bin, erst mal das Visuelle. Ich fand deine
Füße aufregend, du hast die schönsten Füße, die ich je gesehen habe. Deine
Beine sind Weltklasse und was daran anschließt auch. Vorne wie hinten. Deine
Brüste sind herrlich, und die Färbung ihrer Nippel, dieses zarte Blaßrosa, wenn
ich nur daran denke, steht er mir. Dein schöner schlanker Hals mündet in einen
Kopf, der es mit dem von Audrey Hepburn aufnehmen kann, meiner ersten großen
Liebe. In diesem Kopf drin, um nun zum weniger Aufregenden zu kommen, war
hauptsächlich Serge. Stets hast du mir klargemacht, daß das zwischen uns nichts
Ernstes werden könne, weil es ihn gab. Anfangs war ich um diese Regelung froh.
Ich glaube beinahe, daß ich über Serge mehr weiß als über dich. Über deine Mutter
hast du jedenfalls nie geredet, nur pausenlos über Serge, den du wie einen
Schild vor dir hergetragen hast. Manchmal hatte ich den Eindruck, du würdest
dich für deine Orgasmen vor mir schämen. Das hat mich sehr abgetörnt, um die
Wahrheit zu sagen. Darum sag ich dir auch noch Folgendes, und es fällt mir
schwer: Wenn du wieder mit mir anbandeln willst, nur um ab und an Spaß zu
haben, lass es mal lieber bleiben, ich suche derzeit nach etwas Festem, Wahrem.
Ich habe dich vermißt, weitaus mehr, als du vermutest. Ich bin aber kein
Pausenclown oder ein Lückenfüller. Hoffentlich verstehst du, wie weit ich mich
aus dem Fenster lehne, indem ich dir das schreibe. Wenn du mich brauchst, bin
ich für dich da. Wenn nur ein gewisser Körperteil von dir mich braucht, bist du
an der falschen Adresse.
Das ist quasi eine
Liebeserklärung, dachte David. Warum zögere ich noch, die drei wuchtigen Worte
anzufügen? Er brachte es nicht über sich.
JA
20. Januar
Wir sind seit gut
vierzehn Tagen auf Malta. Ralf und Greta bleiben verschwunden, fast eine Woche
ist es her, daß wir die letzte SMS bekommen haben. Gestern ging nicht einmal
Gretas Mailbox ran. Wir hatten keinerlei Ärger mehr, und langsam glauben wir,
daß die Sache, woraus auch immer sie besteht, ausgestanden ist, soweit sie uns
betrifft. Gangster wie die, die uns überfallen haben, sagt Serge, gestehen
ihren Schuldnern immer nur ein paar Tage Aufschub zu, keine ganze Woche. Das
weiß er bestimmt aus amerikanischen Fernsehserien. Seine letzten
Pregabalin-Tabletten hat er gestern eingeworfen, und ich bin gespannt, wie sich
das auswirkt. Er macht einen lockeren Eindruck, fast, um dieses Wort zu
gebrauchen: cool. Überhaupt
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