Die letzten schönen Tage
Trauma wegen des frühen Todes seiner Mutter, als er
dreizehn war. Serge wollte und will mit mir darüber nicht reden, blockt immer
ab, ansonsten gibt er die Gespräche mit Doktor Huytens fast wortwörtlich
wieder. Er leidet auch unter einem sexuellen Minderwertigkeitskomplex, weil ich
durch ihn nicht zum Orgasmus komme. Daß ich fremdgehen könnte, würde Serge als
existenzielle Bedrohung empfinden, was dazu führt, daß sich seine Liebe binnen
weniger Sekunden in blanken Hass verwandelt, aus Selbstschutz, er reagiert dann
wie ein Tier in Todesangst, das keine sozialen Bindungen mehr kennt.
Erschreckend. Ich rief Dr. Huytens an und wollte wissen, wie ich mich denn
verhalten soll. Er meinte, ich solle zärtlich sein, das wäre das Wichtigste,
und wenn ich in jüngster Zeit was angestellt hätte, müsse ich es unbedingt für
mich behalten. Ob ich Serge denn einen Orgasmus vorspielen solle, hab ich
gefragt, und hörte ein Schnalzen am anderen Ende der Leitung, ein bedauerndes
Schnalzen, als versuche jemand, zwischen den Zähnen hängen gebliebene
Petersilie loszuwerden. Darf ich ehrlich mit Ihnen reden? Ich bitte darum. Das
hätten Sie früher machen sollen, jetzt würde er es durchschauen. Boah. Das kam
brutal. Der Doktor gibt mir einfach so eine Teilschuld an Serges Zustand und
entschuldigt sich mit Ehrlichkeit! Das mußte ich erst mal verdauen. Er sagte
noch, daß Serge sein Vertrauen in mich verloren habe und daß es das Beste für
ihn wäre, sich in eine andere Frau zu verlieben, einen kompletten Neuanfang zu
wagen. Serge könne sich aber in keine andere Frau verlieben, weil er auf mich
fixiert sei, in einer Verbindung, die ihn offensichtlich nicht glücklich mache.
Was Serge leider nicht wahrhaben wolle. Mir platzte die Hutschnur. Heißt das,
fragte ich mit zittriger Stimme, Sie schlagen mir vor, ich soll ihn verlassen?
Es entstand eine lange Stille. Dann meinte Huytens, rein vom medizinischen
Standpunkt wäre das die vielversprechendste Option. Serge würde unter der
Trennung sicher erst mal leiden wie ein Hund, aber am Ende könne er zu dem
Selbst zurückfinden, das unter mir begraben liegt. So seien auch alle
Aggressionen gegen mich zu erklären, als Befreiungsversuche heraus aus einer
Mesalliance, es tue ihm leid, wenn er so klare Worte an mich richten müsse,
aber meine Ähnlichkeit mit Serges toter Mutter sei nun mal kontraproduktiv.
Meine – was? Ich hatte keine Ahnung, seiner toten Mutter ähnlich zu sehen. Ach?
Huytens meinte, da herrsche zwischen uns beiden wohl Klärungsbedarf, er könne
sich zu diesem Thema nicht weiter äußern, ohne seine ärztliche Schweigepflicht
zu verletzen. Ich legte auf. Es macht mich halb wahnsinnig, daß dieser
impertinente Mensch offenbar mehr über Serge weiß als ich. Wie kann das denn
sein? Wie hat es dazu kommen können? Mir klebt der schwarze Peter auf der
Stirn, ich komme mir blöd vor und hilflos, unschuldig und schuldig. Hätt ich
hin und wieder quieken sollen? Darf doch nicht wahr sein.
30. Januar
Kati hatte rote
Augen, als ich heimkam, sie war fast außer sich, begrub mich unter fetten
Kirsch-Labello-Küssen, ich solle ehrlich sein zu ihr und mit ihr reden, ich
könne ihr doch alles anvertrauen. Ha! Schon klar, sie hat mit Huytens telefoniert.
Aber Kati ist nun mal kein Arzt, und ihre Aufdringlichkeit gleicht einer
Amtsanmaßung. Ist grobe Einmischung. Sie begehrt eine Vertrautheit, wie sie
zwischen Arzt und Patient besteht, wenn man keine Angst haben muß, jemand
Nahestehenden zu verletzen. Kati geht mir auf den Sack mit ihren
Zuneigungsbekundungen, die allesamt ins Leere laufen, weit an mir vorbei.
Huytens ist auf meiner Seite. Kati bildet sichs nur ein. Auf meiner Seite zu
sein. Ich könnte sie auf die Probe stellen, und wenn sie dann abhauen würde,
wüßte ich sicher, daß ich recht hatte. Aber sie wäre auch weg, und einfach nur
recht behalten zu haben, wäre kein echter Ausgleich dafür. Sie muß nicht auf
meiner Seite sein, sie muß einfach nur da sein. Den Unterschied begreift sie
nicht. Ich selbst begreife ihn ja kaum. Huytens ist großartig, Kati kleinmütig.
Sie will mir keine Schmerzen bereiten, Huytens bereitet mir Schmerzen,
vorsätzlich, Kati will mich in Watte packen. Huytens durchsucht mich mit dem
Messer, Kati verbirgt mich. Huytens packt mich aus. Sie beschmiert meine Wunden
plump mit Salbe, er legt sie bloß, läßt Sonne hinein. Ich bin kurz davor, ihm
die ganze Wahrheit zu sagen. Dazu bestand ja nie die Möglichkeit.
4. Februar
Heute
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