Die letzten schönen Tage
Lösung des
Problems. Mehr oder minder offen hat er mir dazu geraten, bindungslos – frei,
wie er das nennt – durchs Leben zu gehen, mich selbst zu finden, statt mich in
anderen zu suchen, die mir nichts zu bieten hätten. An sich ist das
unverschämt. Kati, die er gar nicht kennt, so abzukanzeln. Auf der anderen
Seite imponiert mir seine Konsequenz, an der es mir so mangelt. Auf jeden
objektiv denkenden Außenstehenden würden Kati und ich wohl den Eindruck machen,
hier sei was schief zusammengewachsen, was zueinander nicht gehört. Doch sich
etwas aus dem Fleisch zu reißen, das man liebt – zieht Blut und Leiden nach
sich. Und ein häßliches Loch im Leib.
7. Februar
Wir wollten heute
morgen zum Strand, von den Fischern frische Muscheln kaufen. Das Wetter ist
regnerisch und kühl geworden. Und etwas Saublödes ist passiert. Serge hilft mir
in die Jacke, und plötzlich kullert was auf den Boden, er hebt es auf – ein
grüner Fünf-Euro-Chip aus dem Dragonara. Hatte ich komplett vergessen. Was das
sei, fragte er. Ein Chip, sagte ich, so selbstverständlich wie möglich, aus dem
Dragonara. Was hätt ich auch anderes sagen sollen? Ich hatte noch neun weitere
in meiner Jackentasche. Zum Glück ist nur einer rausgefallen. Aha, sagte Serge
und verzog das Gesicht. Wozu ich den denn brauche? Ein Souvenir. Von meinem
ersten und einzigen Casino-Besuch. Sehe doch schmuck aus. Naja, sagte Serge,
dann erst mal nichts. Ich schwitzte Blut und Wasser, mir fiel ums Verrecken
keine bessere Erklärung ein, aber die war zum Glück nicht nötig, Serge fragte
nicht weiter nach. Manchmal kann er sehr neugierig sein. Heute war ers Gott sei
Dank nicht, und wir gingen zum Strand, Arm in Arm unterm Regenschirm, kauften
Muscheln, dazu Weißwein und Knoblauchzehen aus dem Supermarkt. Dauernd wollte
ich die neun anderen Chips unauffällig loswerden, aber es ergab sich keine
Gelegenheit. Mir ist ja klar, was Roger mit diesem Geschenk beabsichtigt hat.
Daß ich irgendwann zurückkomme ins Casino und zu spielen beginne. In seiner
Nähe. Neben dem Supermarkt lag eine Tankstelle, mit Damentoilette, ich
entschuldigte mich, dringendes Bedürfnis, und spülte die neun verbliebenen
Chips im Klo runter. Umgerechnet fünfundvierzig Euro habe ich wie Scheiße
behandelt. Welche Verschwendung.
*
Heute Abend dann war
ihre linke Jackentasche leer. Frauen können so verlogen sein. Beinahe wie
Männer. Erschreckend. Was ist es genau, das Kati vor mir verbergen will? Ich
bin aber auch selbst schuld, krame und wühle in Dingen, die mich nichts
angehen, und denke dann stundenlang darüber nach. Jeder Mensch hütet seine
kleinen Geheimnisse, ich doch auch. Es wäre ein perfekter Abend gewesen, voller
Zärtlichkeit und Behütetsein, aber das Rätsel gönnte mir keine Ruhe. Nachts bin
ich wieder online gegangen. Katis Paßwort. Ich erriet es nicht. Dabei muß es so
einfach sein, wie sie es ist. Ich probierte es mit
LICHTSPIELHAUS (eins ihrer Lieblingswörter)
EINERLEI
TRAUER
DAVID (das wäre die Höhe gewesen)
ORGASMUS
HÄHNCHEN (ißt sie gern)
HÜHNCHEN
HALBE TREPPE (den Film liebt sie)
YELLA (den auch)
FITZCARRALDO (ihr allerliebster)
OPER
GROSSE OPER
SOPRAN
VINCENT
FRANCO
DAVIDS SCHWANZ (degoutant bin ich, mir ekelt vor mir)
Es gibt einfach zu viele
Möglichkeiten. Ich bin allein, in allem, was ich tu. Und wäre gern zu zweit.
Mit Kati unterwegs. Irgendwohin. Nur zu zweit. Im Radio gabs eben einen neuen
Peter-Gabriel-Song, er covert was von den Magnetic Fields. Es ist eine nette
kleine Melodie und ein pseudonaiver Text, ich weiß ihn nicht auswendig, er geht
ungefähr so:
Das Buch der Liebe ist
dick und öde.
Zu schwer, daß wer es
schleppen kann.
Ist voller Tabellen und
Formeln,
voll kompliziert, und viele
Tipps
fürs Tanzen enthält es.
Doch wenn du mir draus
vorliest,
und du kannst mir wer weiß was
erzählen,
hör ich gern zu. Es ist voller
Blumen,
voller Einsichten, für die wir
zu jung sind,
es ist voller Musik, und
manche taugt was,
manche ist doof. Aber ich
liebe
es, wenn du singst, was immer
du singst.
Das Buch der Liebe ist dick
und öde
und wurde geschrieben vor langer Zeit.
Die Dinge, die du mir
schenkst, sind so schön.
Und der Ring war von allem das
Schönste.
Das ist vielleicht keine
ganz große Lyrik, hat mir aber Tränen in die Augen getrieben. Was kann man von
einem Popsong mehr
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