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Die letzten schönen Tage

Die letzten schönen Tage

Titel: Die letzten schönen Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Krausser
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Mundgeruch. So.
    Lisbeth schnappte sich das
frische Glas und trat auf die Terrasse hinaus. Das war nun wirklich das
Allergemeinste, einen so stehen zu lassen, ohne Chance, daß sich aus der
Situation irgendetwas Positives, Versöhnliches entwickeln konnte. Es war wie in
Jules Kindheit, als man in der Schule noch in die Ecke gestellt wurde, manchmal
sogar mit Eselsmütze. Sie saß da, wie betäubt, und als der Barkeeper fragte, ob
er ihr noch etwas bringen könne, sagte sie nein, danke (das hätte genügt – doch
sie fügte hinzu:), sie müsse jetzt einen kühlen Kopf bewahren. Jule
unterschrieb die Rechnung und ging in die Hotellobby, wo man an einem PC gratis im Internet surfen konnte. Es gab keinen Nachtzug nach Tampa, denn
Naples, dieses elende Kaff, besaß nicht einmal einen Bahnhof. Glücklicherweise
gab es einen Bus, der um halb ein Uhr vor dem Rathaus abfuhr.
    Noch nie im Leben hatte Jule
so schnell ihre Koffer gepackt.
    Gegen zwei Uhr morgens
betrat Lisbeth das Zimmer, und obwohl es, abgesehen von ein wenig Mondlicht, im
Dunkel lag, sah sie sofort, daß Jule ihre Zelte abgebrochen hatte. So etwas
hätte sie ihr nicht zugetraut, nein. Lisbeth schämte sich ein wenig für ihr
rabiates Auftreten, war aber auch sehr froh, für den Moment um eine Aussprache
herumzukommen und einfach schlafen zu dürfen. Sie hatte stundenlang am Wasser
gesessen, mit den Zehen in der Gischt gespielt und nachgedacht. Ergebnislos.
Manche Dinge, fand sie, sind einfach wie sie sind, man kann sie ändern oder
nicht, aber deswegen ändert sich nichts mehr. Weil es schon spät ist. Hätte
Lisbeth aufschreiben müssen, was in ihrem Kopf vorging, es wäre nichts dabei
herausgekommen, was sie am nächsten Morgen als logisch und nachvollziehbar
abgenickt hätte. Aber es gab eben eine Logik für den Tag und jene andere,
tiefere, für Nächte unter leichten Drogen. Am Strand zu sitzen und Wein zu
trinken, als das Meer gegen ihre nackten Füße schwappte, war das bisher Beste
an diesem ganzen Urlaub gewesen. Und diese schlichte Wahrheit, befürchtete sie,
würde von der Sonne morgen undiplomatisch in eine Lüge verwandelt werden.
    Während der Busfahrt
starrte Jule aus dem Fenster, in die Nacht hinaus. Manchmal wurden ihre Augen
feucht, und ein konvulsivisches Zittern überwältigte ihren Körper.
Seltsamerweise kamen ihr beharrlich Zeilen eines Gedichts von Bertolt Brecht in
den Sinn, das Radwechsel hieß:
    Ich bin nicht gern, wo ich
herkomme.
    Ich bin nicht gern, wo ich hingehe.
    Warum betrachte ich den Radwechsel
mit Ungeduld?
    Jule hatte es nie gewagt,
einen Kollegen, der im Fach Deutsch unterrichtete, zu fragen, was er davon
hielt, aber ihr war es vorgekommen, als würde es sich hierbei um ziemlich
kurzsichtige Lyrik handeln. Als gäbe es kein Übermorgen, auf das man sich
freuen könne.
    Das Hinterher, das
Aussichtsfenster, die Oase und Ruhezone, nach den Erniedrigungen. Warum hab ich
Lisbeth nie danach gefragt? Was hätte sie mir geantwortet?
    Rund um den Bahnhof von
Tampa gab es genügend billige Zimmerchen zu mieten, auch um fünf Uhr morgens,
kein Problem. Jule wollte allein sein, für eine, am besten zwei Nächte, sie
wollte ein Zeichen setzen, auch wenn sie noch nicht genau wußte, welches.
Lisbeth hatte den Wagen, sie würde, wenn sie den Reiseplan einhielt, in
spätestens zwei Tagen in die Stadt nachkommen, dann konnte man sich im dafür
vorgesehenen Hotel treffen und versöhnen. Jule würde nicht auf einer
Entschuldigung bestehen, es gab auch keine, für das, was Lisbeth getan hatte.
Den gemeinsamen Urlaub, die wenigen Tage hier mit solch einer Zerreißprobe zu
belasten, blieb selbst im Suff unentschuldbar. Vergebung war möglich. Man würde
sich einfach in die Arme fallen und gut. Obwohl Jule den Zeitpunkt kaum
erwarten konnte, war es doch wichtig, mit einer schweren Geste ein wenig Härte
zu zeigen. Das würde ihr, dachte sie, bei Lisbeth neuen Respekt verschaffen. Und
ihr selbst würde es helfen, all die Vorwürfe, von denen der morgendliche
Mundgeruch noch der geringste war, zu verdauen. Alles, von dem sie bisher
geglaubt hatte, daß es Lisbeth gefallen mußte, ihre Fürsorglichkeit und Umsicht
und Zurückhaltung – war gegen sie ausgelegt worden. Wie gern hätte sie sich
jetzt an Johnson geschmiegt und ihn gekrault. Der Kater hatte ihr oft geholfen,
wenn auch in weniger gravierenden Situationen. Sie schickte ihrem Sohn David
eine SMS , ob er ihr nicht doch noch das versprochene
Bild senden könnte, es sei beim ersten Mal

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