Die letzten Städte der Erde
die sie las, wirkten so furchteinflößend real, und aus Eifersucht geschahen furchtbare Dinge. Sie machte sich langsam mit dem Gedanken vertraut, daß Tom auch in Schwierigkeiten steckte, während ihre Hände das bunte Garn handhabten und rhythmisch strickten, klick, klick, klick, die Zeit maßen, Stich auf Stich und Reihe auf Reihe. Frauen führten solche Dinge aus und fuhren damit fort, während die Sonne starb, weil es im Leben aller Frauen so viele Augenblicke gab, die den Geist töteten, wenn man darüber nachdachte, die das Herz aussaugten und einem das Leben entzogen, Furchen in das Gesicht gruben und das Haar grau machten, wenn man nur gestattete, daß der eigene Geist jemals arbeitete. Aber im Rhythmus und der Faszination des Strickens lag ein Verlust des Denkens, eine Leere, eine weiße Fläche, die nur aus Zahlen bestand und nicht einmal daraus, denn nicht der Geist mußte zählen, sondern die Finger taten es, denn die Länge eines Fadens wurde gleichmäßig anhand eines Fingers gemessen, wie es sonst nur ein Lineal konnte, der leichte Spannungsunterschied so fein empfunden wie sonst nur bei einer Maschine möglich, und die genaue Zahl der Stiche wahrte ihr Muster, ohne daß man wirklich zählen mußte, war vielmehr etwas so Innerliches und Regelmäßiges wie der Herzschlag wie das langsame Verstreichen der Zeit, die in solchen Handlungen stehenbleiben konnte oder auch schneller vorübergehen.
So verging der Tag; und klick, klick, klick machten die Nadeln, brauchten das Garn auf, wenn sie nicht gerade las; und sie wickelte weiter und strickte weiter, Reihe auf Reihe, ohne zu denken.
Keine Mittagsmahlzeit wurde gebracht; langsam ging die Sonne unter, und im Zimmer wurde es kälter. Eines Tages werde ich um mehr Garn bitten müssen, dachte sie mit überraschender Gelassenheit, und sie erkannte, was dieser Gedanke einschloß, weigerte sich dann, weiterzudenken. Endlich hörte sie wieder die Schritte zur Tür heraufkommen, lehnte es diesmal ab aufzuspringen und zu erwarten, daß es Richard war. Sie strickte weiter, klick, klick, während die Schritte heraufkamen und die Tür öffneten und wieder schlossen.
Dann ging sie völlig ruhig hinaus und holte das neue Tablett herein, sah mit leicht aufwallender Hoffnung, daß die Nachricht mit den anderen Tabletts abgeholt worden war. So, dachte sie; so, sie wird ihn erreichen; und sie setzte sich und verzehrte ihr Abendessen, wenn auch nicht alles. Danach brachte sie das Tablett wieder in den Vorraum, kam zurück und machte sich für das Bett fertig.
Das Licht draußen vor dem Fenster verblaßte, und die Welt dort wurde wieder schwarz. Auch an diesem Abend wollte sie nicht hinausblicken, weil es sie so deprimierte und das kleine Zimmer im dritten Stock so einsam und isoliert erscheinen ließ.
Und erneut ließ sie das Licht brennen, als sie zu Bett ging, denn sie wollte nicht wieder solche Halluzinationen bekommen... – es
waren
Halluzinationen gewesen, und sie hatte sich den ganzen Tag lang geweigert, an sie zu denken. Sie
glaubte
an das Übernatürliche, aber das hatte jetzt aufgehört, etwas zu sein, was anderen Leuten widerfuhr, war jetzt vielmehr etwas, das darauf wartete, ihr zu widerfahren, und das war nicht schaurig unterhaltsam, ganz und gar nicht. Eher flößte es ihr die Furcht ein, daß sie ihren Realitätsbezug verlor und auch die Herrschaft über ihre Einbildungskraft, und sie weigerte sich, das zuzulassen.
Wieder legte sie das weiße Negligé an, weil sie sich überlegte, daß sie vielleicht von einem Anruf direkt aus dem Bett geholt wurde... – schließlich war es immerhin
möglich
, daß ihre Nachricht direkt an Seine Ehren Richard Collier weitergegeben wurde. Wahrscheinlicher jedoch war, daß sie zuerst in sein Büro kam und der Anruf demzufolge erst morgen erfolgte, also konnte sie sich ein wenig entspannen und schlafen, was sie auch wirklich brauchte. In dieser zweiten Nacht hatte sie keine richtige Angst, und so lange die Lichter brannten, war es auch nicht wahrscheinlich, daß sie idiotische Träume von toten Kindern hatte.
Tote Kinder. Sie erschauerte, entsetzt darüber, daß ein solcher Traum aus ihrer eigenen Vorstellungskraft entstanden sein konnte; das war ja nun überhaupt nichts von der Art, worüber sich ein Mädchen Gedanken machen wollte.
Tom... nun, er war es wert, daß man an ihn dachte. Sie las in ihrer Geschichte weiter; und die Frau darin hatte Probleme, die nicht ernster waren als ihre eigenen, was ihre eigenen schlimmer
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