Die letzten Städte der Erde
alt. »Wir leben hier, das ist alles. Wie heißt du?«
»Bettine.«
»Bettine? Was für ein seltsamer Name. Aber heutzutage sind die meisten seltsam. Und letztlich sind es so wenige, die hierherkommen. Glaubst du, er läßt dich wieder gehen?«
»Natürlich wird er das tun.«
»Nur sehr wenige gehen jemals wieder von hier weg. Und in letzter Zeit – niemand mehr.«
»Ihr seid tot!« schrie sie. »Geht weg! Geht weg!«
»Wir sind schon länger tot, als wir gelebt haben«, sagte Richard.
»Länger als dieses London steht«, sagte Edward. »Mein London hat mir besser gefallen. Es war heller. Ich werde es immer vorziehen. Spielst du Karten?«
Sie saß nur da und zitterte, und Richard zupfte Edward am Ärmel.
»Ich denke, wir sollten gehen«, sagte er. »Ich denke, sie fängt an, sich zu fürchten.«
»Sie ist sehr hübsch«, meinte Edward. »Aber ich glaube nicht, daß es ihr etwas nützen wird.«
»Das tut es nie«, sagte Richard.
»Ich gehe als erster«, sagte Edward, »da ich König bin.«
Und er verschwand mitten durch die Wand; und Richard folgte ihm; und das Kerzenlicht ging aus und ließ Dunkelheit zurück.
Bettine saß reglos da, die Bettücher um sich gewickelt, streckte schließlich die Hand nach dem Lichtschalter aus, fiebrig, wahnsinnig, und blinzelte in dem grellen weißen Schein, der nichts offenbarte, was nicht stimmte, überhaupt nichts. Aber eine tödliche Kälte hing in der Luft.
Sie hatte geträumt. Dieser seltsame alte Ort erzeugte Alpträume in ihr. Das mußte es sein. Tränen strömten ihr aus den Augen. Sie zitterte und stand schließlich auf und stocherte in ihrem kalten Abendessen, weil sie sich von der Einsamkeit ablenken wollte. Sie wollte nicht zu dem Fenster über dem Tisch aufblicken, nicht, solange draußen die Nacht herrschte.
Am nächsten Morgen würde sie Schatten unter den Augen haben und nicht schön sein, aber schön mußte sie sein. Schließlich raffte sie ihren Mut zusammen und legte sich wieder ins Bett, lag dort in ihren Bademantel gewickelt und zitterte bei voller Beleuchtung, die sie auf keinen Fall löschen wollte.
Am nächsten Morgen probierte sie das Telephon wieder aus, und es weigerte sich immer noch, zu funktionieren. Sie fand, daß mit dem durch das Fenster einfallenden Tageslicht alles klarer schien, und der Raum wirkte sogar wärmer dadurch. Sie badete und wusch sich das Haar und trocknete es, bürstete es dabei sorgfältig durch. Es hatte natürliche Locken, und sie arrangierte es zu Ringellocken und machte mehrere Versuche, es um ihr Gesicht zu ordnen.
Plötzlich ging die Tür zu dem kurzen Flur, die offen stand, zu; sie sprang auf und blickte sie bestürzt an, hörte im unteren Stockwerk Schritte und fuhr in Panik herum, zog sich schließlich ein Kleid über und vermasselte sich dabei die Frisur, und während sie hörte, wie Schritte die lange Treppe heraufkamen, beugte sie sich im Bad dicht an den Spiegel heran und trug mit schnellen und sicheren Strichen das Makeup auf, nicht das ganze, denn dafür reichte die Zeit nicht, aber zumindest einen Hauch von Hervorhebung der Augen, Röte auf Lippen und Wangen...
Es war Richard, der kam, um sie zu holen, sie zu fragen, ob sie genug hatte, und sie hatte, oh, sie hatte genug...
Die Tür am anderen Ende ging auf. Sie rannte zu der Tür auf ihrer Seite, wartete mit gefalteten Händen und ängstlich, wollte auch ängstlich und zerknirscht aussehen und überhaupt nach allem und jedem, worauf er aus sein konnte.
Dann ging die äußere Tür wieder zu und ihre auf. Sie eilte hinaus, um den Besucher zu empfangen.
Dort stand nur ein Frühstückstablett auf dem Boden, und die Tür war geschlossen, und die Schritte draußen verklangen.
»Kommen Sie zurück!« schrie sie, weinte, jammerte. Die Schritte entfernten sich weiter die Treppe hinab. Sie stand da und weinte lange; und als ihr dann nichts anderes einfiel, hob sie das Tablett hoch. Dazu mußte sie sich herabbeugen, was ihr Haar in Unordnung brachte und sie erschütterte und demütigte, sogar hier, wo niemand da war, um es zu beobachten. Sie war zornig und verängstigt und wollte das Tablett wegschleudern und alle Dinge in Sichtweite kaputtschlagen; aber das würde aus der Mahlzeit ein schreckliches Chaos machen, und sie überlegte sich, daß sie wohl darin leben mußte, wenn sie es einmal angerichtet hatte, oder es selbst aufwischen mußte, also ersparte sie sich diese Mühe und trug das Tablett geduldig zurück zum Tisch. Sie verspürte Übelkeit, denn da
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