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Die letzten Städte der Erde

Die letzten Städte der Erde

Titel: Die letzten Städte der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.J. Cherryh
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sich unter den Arm. »Ich bin Marc«, sagte er. »Marcus Atilius Regulus. Sie sagten, ich sollte kommen. Könntest du dir eine Möglichkeit vorstellen, dir in den Finger zu stechen?«
    »Warum sollte ich das tun?«
»Ich bin der Älteste«, sagte er. »Na ja, beinahe – und von einer anderen Überzeugung. Vielleicht ist sie altmodisch, aber sie würde unsere Unterhaltung erleichtern.«
    Sie hob ihre Nähnadel auf und stach einmal heftig in einen ihrer kalten Finger, und das Blut quoll in dem matten Licht wie schwarz hervor und tropfte auf den Boden. Sie steckte sich den verletzten Finger in den Mund und starrte ihren Besucher ziemlich verwirrt an, denn er war jetzt viel deutlicher und schien einen lebendigen Atemrhythmus zu haben.
    »Ah«, sagte er, »ich danke dir von ganzem Herzen, Bettine.«
    »Ich bin mir überhaupt nicht sicher, ob ich es hätte tun sollen. Ich denke, du könntest gefährlich sein.«
    »Ah, nein, Bettine.«
»Warst du ein Soldat, so eine Art Ritter?«
»Ein Soldat, ja; und ein Ritter, aber nicht von der Art, an die du denkst. Ich glaube, du meinst die Art, wie es sie in diesem Land gegeben hat. Ich komme aus dem Land des Tiber. Ich bin ein Römer, Bettine. Wir legten hier einige der ältesten Steine...« Er hob einen mit Reifen geschmückten Arm und deutete ziemlich verlegen auf eine der Stahlwände. »Aber der größte Teil der alten Bauten besteht jetzt nicht mehr. Es gibt hier noch ältere Ebenen; die meisten verdrießlichen Typen sammeln sich vorzugsweise dort, darunter sogar Leute aus neuerer Zeit und manche, die nie zivilisiert waren, nicht wirklich, oder die es nie ganz akzeptierten, daß sie jetzt tot sind, sie alle...« Er machte eine vage und mißbilligende Geste. »Aber wir haben jetzt nicht mehr viele Zugänge, denn hier war niemand mehr drin, der an uns glauben konnte... seit so langer Zeit... – tut der Finger weh?«
    »Nein.« Sie saugte daran und wischte die Feuchtigkeit weg und betrachtete ihn sich genauer. »Ich bin mir nicht sicher, ob
ich
an euch glaube.«
    »Du bist dir nicht sicher, daß du es nicht tust, und das ist genug.«
    »Warum bist du hier? Wo sind die anderen?«
»Oh, sie sind dort hinten.«
»Aber warum du? Warum wollten sie nicht kommen? Ich habe mit den Kindern gerechnet.«
    »Oh. Sie sind da. Nette Jungs.«
»Und warum bist
du
gekommen? Was hat ein Soldat mit mir zu schaffen?«
    »Ich... komme wegen der Toten. Ich bin der Psychopomp.«
    »Der was?«
»Psychopomp. Seelenführer. Wenn du stirbst.«
    »Aber ich werde nicht sterben«, jammerte sie, schlang die Arme um sich und betrachtete, ohne es zu wollen, das antike Schwert, das er trug. »Das Ganze ist ein Irrtum, mehr nicht. Ich habe versucht, es den anderen zu erklären, aber sie begreifen es nicht. Wir sind zivilisiert. Wir gehen nicht herum und bringen hier drin die Leute um, was immer auch
früher
passiert ist...«
    »Oh, sie
tun
es, Bettine; aber wir bekommen sie nicht, denn sie sind sehr stur und glauben an nichts, und sie können uns nicht sehen. Letzten Monat habe ich einen verloren. Ich hatte ihn schon fast soweit, mich zu sehen, aber dann, zum Schluß, konnte er es einfach nicht. Und er entglitt mir; ich bin mir nicht sicher, wohin. Es sah hoffnungslos eintönig aus. Ich versuche es bei allen. Ich freue mich, daß du nicht so bist wie sie.«
    »Aber du irrst dich. Ich werde nicht sterben.«
    Er zuckte die Achseln, und seine dunklen Augen blickten sehr traurig.
    »Ich kann hier hinauskommen«, sagte sie, entmutigt durch seinen mangelnden Glauben an sie. »Wenn ich wirklich muß, finde ich immer einen Weg. Ich kann ihnen einfach sagen, was sie wissen wollen, und sie werden mich gehen lassen.«
    »Ah«, sagte er.
»Es ist wahr.«
    Sein junges Gesicht, so schmal und ernst, wirkte noch trauriger. »Oh, Bettine.«
    »Es
ist
wahr; was weißt
du
eigentlich?«
»Warum hast du ihnen nicht schon gegeben, was sie wollen?«
    »Weil...« Sie setzte an zu erklären und schüttelte dann nur den Kopf. »Weil ich glaube, daß ich auch hinauskomme, ohne es zu tun.«
    »Aus Stolz? Oder der Ehre wegen?«
    Es hörte sich letztlich nach etwas an, das
er
sagen sollte, so angetan mit einer antiken Rüstung und mit einem Schwert gegürtet. »Du bist schon seit langem tot«, sagte sie.
    »Fast schon die längste Zeit von allen.
Superbia
, nannten wir es. Das ist die falsche Art von Stolz; es bedeutet, aufgeblasen zu sein, und zu wichtigtuerisch, und die Dinge wirklich nicht richtig zu sehen. Und dann gibt es noch
Exemplum
.

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