Die letzten Tage
sie kämpferisch schwangen.
Und dann setzte sich der Mob in Bewegung. Sein Ziel war eine kleine Bauernkate am Rand des Dorfes.
Schon stürmten die Ersten die Hütte und zerrten eine sich panisch wehrende junge Frau ins Freie, die ihr Kind schützend dicht an den Körper gepresst hielt. Sie schrie, trat, strampelte und weinte – alles vergeblich.
Als Nächstes holten sie Zack. Grazia stockte der Atem, als sie die geschwungenen, strahlend weißen Schwingen erblickte, die rechts und links über seine Schultern hinwegragten.
Nein, das konnte nicht sein. Unmöglich! Flügel! Er besaß Flügel!
Grazia weinte und schrie, doch niemand hörte sie. Das, was sich da vor ihren Augen abspielte, war längst geschehen. Vor vielen Jahren, ja, Jahrhunderten. Es gab nichts, was sie tun konnte, um es zu verhindern. Überhaupt nichts.
Fassungslos musste sie mit ansehen, wie Dutzende Hände an Zack zogen und zerrten, bis er schließlich in der Flut der Leiber unterging.
Währenddessen wurde am Flussufer in Windeseile ein Gebilde aus Holz und trockenem Stroh errichtet, aus dessen Zentrum ein Pfahl in den Himmel ragte. Grazia hatte bisher nur in Büchern darüber gelesen, trotzdem wusste sie sofort, worum es sich handelte.
Ein Scheiterhaufen! O nein – sie bauen einen Scheiterhaufen!
Mit wachsendem Entsetzen beobachtete Grazia, wie die vor Angst erstarrte Frau von zwei Männern, in deren Augen der pure Wahnsinn glitzerte, zum Scheiterhaufen gezerrt wurde.
Und dann brachten sie Zack.
Es brauchte sechs kräftige Männer, um ihn zu halten, und das, obwohl er verletzt war. Eine seiner herrlichen Schwingen hatten sie ihm bereits ausgerissen, die andere wies an mehreren Stellen Knicke auf. Überall Blut!
Doch er schien den Schmerz nicht einmal zu spüren. Er kämpfte wie von Sinnen, und als sie den Scheiterhaufen entzündeten, kam ein Schrei über seine Lippen, der nichts Menschliches mehr an sich hatte.
„Merleeee!“, rief er. „Tobiaaas!! Neeeeein!“
Und dann hörte Grazia über das Tosen der Flammen hinweg das Wimmern eines Kindes. Sie wollte die Augen schließen, um das grausame Schauspiel nicht mit ansehen zu müssen, aber …
VERSCHWINDE!
AUS!
MEINEM!
KOPF!
Grazia hatte das Gefühl, von einem Tornado erfasst zu werden. Als sie wieder in die Realität zurückkehrte, waren ihre Knie so weich, dass sie sich an Zack festklammern musste, der sie noch immer in seinen Armen hielt.
Ungläubig und fassungslos schaute sie zu ihm auf. Sie zitterte am ganzen Körper. „Ist das …“ Sie war so aufgewühlt, dass ihre Stimme ganz brüchig klang. „Ist das wirklich wahr? Bist du so etwas wie ein … Engel?“
Er erwiderte ihren Blick, und zum ersten Mal sah sie in seinen unglaublich blauen Augen so etwas wie echte, tief reichende Gefühle. Langsam, ganz langsam fuhr er ihr mit einer Hand übers Haar. Die Berührung war federleicht, kaum spürbar. „Du bist es nicht“, murmelte er abwesend. „Du kannstes nicht sein – und doch …“
Und dann küsste er sie.
Es war anders als alles, was Grazia je erlebt hatte. Jede einzelne Faser ihres Körpers schien zu vibrieren. Das Herz klopfte ihr bis zum Hals, nichts und niemand existierte mehr auf der Welt. Sie vergaß alles um sich herum. Nichts war mehr wichtig. Nicht ihr Job, nicht die mysteriöse Mordserie, die Rom in Atem hielt, ja, nicht einmal Patrizia. Alles was zählte waren Zack und die köstlichen Gefühle, die er in ihr auslöste.
Als er sich schließlich von ihr losmachte, schlug Grazia träge die Augen auf. Erst dann wurde ihr klar, was gerade geschehen war. Abrupt kehrte sie auf den Boden der Tatsachen zurück.
„Wir sollten noch einmal in deine Wohnung gehen“, sagte er, und seine Stimme klang so, als sei überhaupt nichts passiert. „Deine Kollegen und die Leute von der Spurensicherung dürften inzwischen fort sein. Vielleicht finden wir ja etwas, das sie übersehen haben.“
Grazia sah ihn an und zwang sich, ihren rasenden Puls unter Kontrolle zu bringen. Reiß dich zusammen! rief sie sich zur Ordnung. Die Art und Weise, wie er damit umging, zeigte Grazia, dass das gerade für ihn nur ein kleines, unbedeutendes Spielchen gewesen war. Und sie würde den Teufel tun und ihm zeigen, wie sehr es sie aufgewühlt hatte.
Außerdem gab es wahrlich wichtigere Dinge, um die sie sich zu kümmern hatte. Zum Beispiel irgendeinen Ausweg aus diesem Albtraum zu finden, in den sich ihr Leben auf einmal verwandelt hatte.
Sie nickte. „Okay, lass uns gehen.“
Zack hatte
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