Die letzten Tage
Barini“, erklärte Grazia mit vor Grauen erstickter Stimme. Sie hatte ihn sofort erkannt, denn sein Gesicht zierte oft genug die Titelseiten italienischer Klatschillustrierten. Mit dem Handrücken wischte sie die Tränen fort und schüttelte den Kopf. „Mein Vater hatte also recht, er ist einer der fratelli . Hätten wir doch bloß nicht bis Sonnenuntergang gewartet, Zack! Wir hätten ihn vielleicht retten können!“
Plötzlich begann Giancarlo di Barini sich zu rühren. Mit einem gepeinigten Stöhnen bäumte er sich auf. Die glasigen Augen waren weit aufgerissen, ein Blutfaden rann ihm aus dem Mund und rollte in einer perfekten roten Linie zum Kinn hinunter. „Aufhalten!“, stieß er mit letzter Kraft aus. „Ihr müsst sie aufhalten! Folgt dem Fisch in die Tiefe!“
Dann sackte er in sich zusammen. Ein paar Sekunden lang war noch sein unglaublich mühevolles rasselndes Atmen zu hören, schließlich verstummte auch das.
„Mi dispiace“ , presste Grazia schluchzend hervor. „Es tut mir so schrecklich leid!“
Ihr war, als würde sie in ein bodenloses schwarzes Loch stürzten, immer tiefer und tiefer und …
„Wir müssen hier weg!“ Zack berührte sie sanft an der Schulter. „Schnell!“
Wie eine Puppe ließ sie sich von ihm auf die Füße helfen und folgte ihm hinaus in den Garten. In einiger Entfernung sah sie das Blaulicht, das sich rasch näherte. Zack zog sie in die entgegengesetzte Richtung davon. An seiner Hand stolperte sie durch die Nacht, doch mit ihren Gedanken war sie immer noch in der Villa bei dem vernichteten Vampir und dem toten Giancarlo di Barini.
Sie wusste nicht, ob sie diese Bilder jemals wieder aus dem Kopf bekommen konnte. Fest stand nur, dass nach heute Nacht nichts mehr so sein würde wie zuvor.
Am nächsten Morgen erwachte Grazia vom lauten Schnurren einer schwarz-weißen Katze, die es sich direkt neben ihrem Kopf auf der durchgelegenen Matratze bequem gemacht hatte. Als das Tier merkte, dass seine Bettgefährtin nicht mehr schlief, stand es auf, streckte sich und gähnte genüsslich.
„Keine Ahnung, wo sie hergekommen ist.“ Zack kam mit einer Tasse dampfend heißem Kaffee, den er auf dem Gaskocher aufgebrüht hatte, zu ihr herüber. „Sie muss sich irgendwann im Laufe der Nacht ins Lagerhaus geschlichen und gefunden haben, dass du aussiehst, als könntest du ein freundliches Wesen in deiner Nähe gebrauchen.“ Er reichte ihr die Tasse und setzte sich neben sie. „Geht es dir wieder etwas besser? Du warst gestern Abend … na ja, ich würde sagen, ziemlich neben der Spur trifft es ganz gut.“
Grazia hörte tief in sich hinein und stellte zu ihrem eigenen Erstaunen fest, dass sie sich tatsächlich wieder ganz okay fühlte. Wenigstens so weit, wie man sich okay fühlen konnte, wenn man in der Nacht zuvor eigenhändig seinen ersten Vampir in die Hölle befördert oder zumindest dabei geholfen hatte.
Plötzlich musste sie an Giancarlo di Barini denken, und sie ließ die Schultern hängen. Die Katze maunzte leise und rieb ihren Kopf an Grazias Arm. Geistesabwesend fing sie an, das Tier zu streicheln.
„Wir stecken in einer Sackgasse“, sagte sie bedrückt. „Oder kannst du mit den letzten Worten di Barinis auch nur das Geringste anfangen?“
„Folgt dem Fisch in die Tiefe … Der Fisch war ein frühes Erkennungsmerkmal des Christentums, aber ich fürchte, das hilft uns auch nicht weiter.“ Zack schüttelte den Kopf. „Ich passe.“ Er stand auf und begann, ruhelos auf und ab zu gehen. „Aber es muss doch irgendjemanden geben, der uns helfen kann, die Botschaft zu entschlüsseln!“
„Vielleicht war es ja auch gar keine Botschaft“, gab Grazia zu bedenken. „Besonders viel Sinn scheinen die Worte von di Barini jedenfalls nicht zu ergeben. Möglicherweise befand er sich zu dem Zeitpunkt, als er uns diesen Hinweis gab, schon im Delirium.“
„Glaub ich nicht. Und selbst wenn – es ist die einzige Spur, die wir im Augenblick haben. Uns bleibt gar keine andere Wahl, als sie weiterzuverfolgen.“ Er fuhr sich mit der Hand durchs Haar. „Wenn ich doch nur wüsste, was er uns sagen wollte! Ich habe mir die ganze Nacht den Kopf darüber zerbrochen, ohne auch nur einen winzigen Schritt voranzukommen. Ich gebe es ja nur sehr ungern zu, aber im Moment bin ich mit meinem Latein echt am Ende.“
Grazia starrte gedankenverloren in ihren Kaffee. Sie wusste durchaus jemanden, der ihnen ganz sicher helfen konnte. Jemanden, der sich als ein echter Experte auf dem
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