Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die letzten Tage Europas: Wie wir eine gute Idee versenken (German Edition)

Die letzten Tage Europas: Wie wir eine gute Idee versenken (German Edition)

Titel: Die letzten Tage Europas: Wie wir eine gute Idee versenken (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henryk M. Broder
Vom Netzwerk:
einen jovialen Rheinländer, der mit entwaffnender Offenheit zugibt, dass der EU , wäre sie ein Staat, die Aufnahme in die EU verweigert würde – mangels demokratischer Legitimation.



Schulz sitzt einem Parlament vor, das mehr mit dem Obersten Sowjet der ehemaligen SU , der Sowjetunion, als mit der Bezirksverordnetenversammlung von Kreuzberg-Friedrichshain gemein hat. Das EU -»Parlament« ist die einzige Volksvertretung innerhalb der so genannten »freien Welt«, die kein Recht hat, Gesetze vorzuschlagen. Das EU -Parlament ist dazu da, die Entscheidungen der EU -Kommission abzusegnen, die ihrerseits mit exekutiven und legislativen Vollmachten ausgestattet ist, also gegen das Prinzip der Gewaltenteilung verstößt, eine der Säulen jeder demokratischen Verfassung.
    Nochmals langsam zum Mitschreiben: Dieselben Menschen, die bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit eine »europäische Identität«, einen »gemeinsamen Wertekanon« et cetera beschwören und sich dabei auf europäische Errungenschaften wie Demokratie und Gewaltenteilung berufen, haben ein politisches System geschaffen, das eben diesen beschworenen Werten Hohn spricht.
    Nicht die 754 Europaabgeordneten, also die Volksvertreter haben das Sagen, sondern die 27 EU -Kommissare aus ebenso vielen Ländern, beziehungsweise 28, nach dem Beitritt Kroatiens im Juli 2013.
    Es gilt das Prinzip: »One state, one vote«. Anders als in jedem richtigen Parlament gibt es im Europaparlament keine Regierungsfraktion und keine Opposition. Wer einmal eine Abstimmung miterlebt hat, der weiß, was der Begriff »Farce« bedeutet. Im Minutentakt wird über Vorgaben der EU -Kommission entschieden, wobei die Berichterstatter bzw. Fraktionssprecher ein Handzeichen geben: Daumen nach oben bedeutet Ja, Daumen nach unten bedeutet Nein. Dementsprechend »stimmen« die Abgeordneten ab. In jeder Studentenvertretung einer Fachhochschule geht es demokratischer zu.
    Bevor Martin Schulz Europapolitiker wurde, war er in der Kommunalpolitik aktiv. Der gelernte Buchhändler trat mit 19 Jahren den Jusos bei, wurde 1984 für die SPD in den Stadtrat von Würselen bei Aachen gewählt und nur drei Jahre später, gerade mal 31 Jahre alt, zum Bürgermeister der Gemeinde. Nicht nur für rheinische Verhältnisse war das eine Blitzkarriere.
    1994 kandidierte Schulz mit Erfolg für das Europaparlament. Sein Amt als Bürgermeister von Würselen gab er erst 1998 auf, um sich ganz der Europapolitik widmen zu können. Einer größeren Öffentlichkeit wurde der Ehrendoktor der Technischen Universität von Kaliningrad im Sommer 2003 bekannt, als es zwischen ihm und dem italienischen Ministerpräsidenten Berlusconi in einer Sitzung des Europaparlaments zu einem Eklat kam. Berlusconi empfahl dem deutschen Sozialdemokraten, sich um die Rolle eines Kapos in einer italienischen Filmproduktion zu bewerben. Später behauptete Berlusconi, er habe damit nur auf den gleichnamigen und sehr gutmütigen Kriegsgefangenen-Aufseher in der Fernsehserie »Ein Käfig voller Helden« anspielen wollen.
    Was immer der aufbrausende Cavaliere wollte oder meinte, er hatte dem Sozialdemokraten aus der Eifel einen großen Gefallen getan. Aus dem No-Name-Produkt Schulz wurde über Nacht ein Markenzeichen für Anstand und Zivilcourage. Dabei ging es um mehr als den Zusammenstoß zweier Alpha-Männchen auf einer großen Bühne, es war ein »Clash of Civilizations« zwischen dem kühlen Norden und dem heißen Süden, ein Vorgeschmack auf die Konflikte, die sich Jahre später im Verlauf der Euro-Krise entladen sollten.
    Inzwischen ist Schulz – der einzige Abgeordnete im EU -Parlament, der kein Stimmrecht hat – das Gesicht der EU , viel präsenter in unseren Medien als der Präsident der Kommission, Barroso, und der Ratspräsident Van Rompuy. Er nimmt täglich Stellung zu aktuellen Fragen, gibt Interviews und reist durch das Land, um für Europa zu werben.
    Zum Beispiel auf der Delegiertenversammlung der IG Metall Köln-Leverkusen, wo er »eine flammende und mitreißende Rede« hielt, bei der man in den »Redepausen eine Stecknadel auf den Boden fallen hören« konnte, wegen der »nachvollziehbaren Argumente«, wie auf seiner eigenen Homepage anschließend zu lesen war. Zu den nachvollziehbaren Argumenten gehörte auch eine düstere Vorhersage: »Unmissverständlich machte Schulz klar, dass bei wachsender Weltbevölkerung die Menschen in Europa nur geeint in Zukunft eine Chance auf Wahrnehmung im globalen Dorf namens Welt

Weitere Kostenlose Bücher