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Die letzten Tage Europas: Wie wir eine gute Idee versenken (German Edition)

Die letzten Tage Europas: Wie wir eine gute Idee versenken (German Edition)

Titel: Die letzten Tage Europas: Wie wir eine gute Idee versenken (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henryk M. Broder
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hätten. 2040 leben rund acht Milliarden Menschen auf dem Globus und vier Prozent in Europa. Die dann auf 76 Millionen geschrumpfte Zahl der Bürger Deutschlands mache dann nur noch ein Prozent der Weltbevölkerung aus.«
    Demografische Vorhersagen und Prognosen über den Klimawandel haben eines gemeinsam: Sie taugen vor allem dazu, den Empfängern Angst einzujagen. Acht Milliarden Menschen! Davon nur noch 76 Millionen Deutsche! Nicht einmal ein Prozent! Und davon vermutlich mehr als die Hälfte Beutedeutsche mit Migrationshintergrund! Wer soll dann noch die Produkte der metallverarbeitenden Industrie kaufen?
    Nüchtern betrachtet wäre eine solche Entwicklung durchaus wünschenswert. Man würde endlich wieder einen Parkplatz direkt vor dem KaDeWe bekommen und müsste nicht ein halbes Jahr auf einen Termin zur Darmkrebsvorsorgeuntersuchung warten.
    Allerdings: Vor nichts – globale Erwärmung, Kernkraft, Vogelgrippe, Dioxin in Bioeiern, Fracking, Pferdefleisch in Konserven und Peer Steinbrück einmal ausgenommen –, vor nichts haben die Deutschen so viel Angst wie vor der Möglichkeit, in dem »globalen Dorf namens Welt« nicht mehr wahrgenommen zu werden. Was sollen da die Isländer, Esten und Montenegriner sagen, deren Anteil an der Weltbevölkerung im Jahre 2040 nur wenige Promille betragen wird, von den Wenden und Sorben in der Lausitz und den Rätoromanen in Graubünden gar nicht zu reden? Aus einem Volk ohne Raum droht ein Raum ohne Volk zu werden.
    Aber wenn dem wirklich so wäre, dann sollte Schulz, statt die Delegierten der IG -Metall Köln-Leverkusen zu erschrecken, etwas gegen den drohenden Bevölkerungsrückgang unternehmen und – wie Nobelpreisträger Grass sagen würde – »mit letzter Tinte« zur Tat schreiten. Zeit genug hätte er ja, er müsste allenfalls darauf verzichten, Fernsehrezensionen für die FAZ zu schreiben, wie die über den ARD -Dreiteiler »Unsere Mütter, unsere Väter«, in der er darüber räsoniert, dass »Auschwitz den Tiefpunkt der menschlichen Zivilisation markiert« und wie dünn »der Firnis der Zivilisation« ist, weswegen er, Martin Schulz, »so vehement für das europäische Einigungswerk« kämpft. Denn es steht viel auf dem Spiel: »Wir riskieren, zu Beginn des 21. Jahrhunderts die Fehler des frühen 20. Jahrhunderts zu wiederholen.«
    Soll heißen: Geht es mit Europa schief, dann stehen »die Dämonen von einst« wieder vor der Tür. Sagt Schulz, und im Saal mit den Delegierten der IG Metall Köln-Leverkusen wird es so still, dass man eine Stecknadel zu Boden fallen hören könnte. Ja, das ist ein nachvollziehbares Argument: Wenn wir den Zusammenbruch der Zivilisation nicht riskieren, wenn wir nicht noch einmal am »Tiefpunkt der menschlichen Zivilisation« ankommen wollen, dann müssen wir für das »europäische Einigungswerk« kämpfen. Europa oder Auschwitz.
    Es wäre der richtige Moment, den Präsidenten des Europaparlaments, Martin Schulz, darauf aufmerksam zu machen, dass es schon einmal ein »europäisches Einigungswerk« gegeben hat, das im allgemeinen Chaos endete. Die »Dämonen von einst« als Zeugen für die Notwendigkeit der europäischen Einigung von heute anzurufen, ist nicht nur frivol, es ist auch riskant, weil es die Frage provoziert, wer in dem vereinten beziehungsweise vereinigten Europa das Sagen haben soll. Die Kinder der Raubritter von gestern spielen die Samariter von heute.
    Ich will Schulz keine böse Absicht unterstellen, er meint es sicher gut, aber wenn einem deutschen Politiker nichts mehr einfällt, dann fällt ihm mit Sicherheit Auschwitz ein, und sei es nur, um eine mittelmäßige Fernsehproduktion, in der die Täter zu Opfern stilisiert werden, als einen Beitrag zur historischen Wahrheitsfindung zu loben.
    Der Präsident der Europäischen Parlaments, so heißt es in den Statuten, »verkörpert das Parlament nach außen und in seinen Beziehungen zu den übrigen Organen und Einrichtungen der Europäischen Union«, er wird dabei von nicht weniger als »14 Vizepräsidenten unterstützt«. Sein »Kabinett« besteht aus 38 Mitarbeitern, einem Chef des Kabinetts und einem Stellvertretenden Chef des Kabinetts, die ihrerseits über acht Assistenten und Berater verfügen. Hinzu kommen fünf Berater und Assistenten, die für das Protokoll und den Terminkalender des Präsidenten zuständig sind, fünf Assistenten und Berater in der Abteilung Innere und sechs in der Abteilung Äußere Angelegenheiten. In der Abteilung Presse und Kommunikation

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