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Die letzten Tage Europas: Wie wir eine gute Idee versenken (German Edition)

Die letzten Tage Europas: Wie wir eine gute Idee versenken (German Edition)

Titel: Die letzten Tage Europas: Wie wir eine gute Idee versenken (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henryk M. Broder
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würde die Kanzlerin wegen einer halben Milliarde Euro nicht einmal ihren Urlaub unterbrechen! Auch die Tatsache, dass der Bund, die Länder und die Kommunen mit über zwei Billionen Euro – das ist eine Zwei mit zwölf Nullen beziehungsweise zwei Millionen Millionen – verschuldet sind, raubt ihr nicht den Schlaf. Denn ein wirtschaftlich starkes Land wie die Bundesrepublik kann es sich leisten, alte Schulden durch die Aufnahme neuer Schulden zu refinanzieren.
    Die Gesamtausgaben des Bundes im Jahre 2013 lagen bei 302 Milliarden Euro. Davon entfielen 11 Prozent, also etwas über 33 Milliarden, auf das »Bundesschuldenwesen«, Tilgung und Zinsen der aufgenommenen Kredite. Der Etat des Ministers für Verteidigung betrug ebenfalls 11 Prozent.
    Nehmen wir einmal an, die Kommunen, die Länder und der Bund würden ab sofort keine neuen Kredite mehr aufnehmen und ihre alten Verbindlichkeiten abzahlen. Wie lange würde es dauern, bis sie »entschuldet« wären?
    Die Antwort auf diese Frage hängt von zu vielen Faktoren ab, als dass sie verlässlich beantwortet werden könnte. Ob es sich um feste oder flexible Zinsen handelt, wie hoch die Tilgungsrate ist, wie sich die Inflation entwickelt – und so weiter. Versuchen wir es trotzdem. Unterstellen wir, Bund, Länder und Gemeinden würden – wie ein Hausbesitzer, der bei seiner Bank einen Kredit aufgenommen hat – jedes Jahr ein Prozent der Schulden tilgen. Zuzüglich der Zinsen.
    Bei einem Zinssatz von einem Prozent würden die Schuldner 100 Jahre lang jedes Jahr 32 Milliarden Euro an die Gläubiger zahlen, bei drei Prozent Zinsen wären es 63 Milliarden Euro jährlich und bei fünf Prozent über 100 Milliarden – immer vorausgesetzt, es kommt nichts dazwischen, kein Krieg, keine Naturkatastrophen und keine verlorene Fußball- WM .
    Wenn sie es also schaffen, keine neuen Kredite aufzunehmen, was extrem unwahrscheinlich ist, wären der Bund, die Länder und die Gemeinden im Laufe von drei bis vier Generationen frei von den Lasten, die sie in den letzten Jahrzehnten angehäuft haben, um all die ambitionierten Projekte finanzieren zu können, die sie aus den regulären Einnahmen nicht finanzieren konnten. Die vielen städtischen Bühnen und Orchester, die Subventionen für den Bergbau und die Solarwirtschaft, das Kindergeld, das Elterngeld, die Pendlerpauschale und die Eigenheimzulage, die ABM -Maßnahmen, die Qualifizierung von Arbeitslosen, die Klimaforschung, die Filmförderung, den Bau von Windkraftanlagen, die Entwicklung des Elektroautos und die Prämien für Haus- und Scheunenbesitzer, die den Charme der Fotovoltaikanlagen zum eigenen Vorteil entdeckt haben.
    Dieses Szenario ist im doppelten Sinn hypothetisch. Erstens würde es das Ende des Sozial- und Subventionsstaates bedeuten, zweitens lässt es einen Kostenfaktor unberücksichtigt, dessen Dimension niemand realistisch einschätzen kann: die Betriebskosten für das Projekt Europa.
    Der Haushalt der Union für die Jahre von 2014 bis 2020 beträgt eine Billion Euro, eine Million Millionen Euro. Man muss sich das Budget wie einen großen Topf vorstellen, in den alle etwas einzahlen und aus dem alle etwas bekommen. Die einen mehr, die anderen weniger. Einige finanzstarke Länder, wie die Bundesrepublik, zahlen mehr ein, als sie erhalten, die meisten Länder bekommen mehr heraus, als sie einbezahlt haben. Wie es eben so ist, wenn eine »Umfairteilung« stattfindet.
    Damit wir uns nicht missverstehen. Ich habe nichts gegen Solidarität, Fairness und soziale Wohltaten. Ich zahle meine Steuern und erwarte, dass damit Sinnvolles geschieht: Dass für meine Sicherheit gesorgt wird, dass die Infrastruktur funktioniert, die Verwaltung, Justiz und so fort. Dass, wenn es nötig ist, die Bundeswehr ausrückt und hilft, einen Völkermord zu verhindern. Dass jemandem, der von Natur aus benachteiligt ist oder den ein Schicksalsschlag getroffen hat, geholfen wird, damit er menschenwürdig leben kann oder wieder auf die Beine kommt. Dass es manchmal zu Missbrauch kommt, nehme ich schulterzuckend in Kauf. Ich zahle dann lieber für einen schlitzohrigen griechischen Schafhirten als für einen Brandenburger Neonazi auf Hartz 4. Ich möchte nur nicht, dass dafür in meinem Namen andauernd Kredite aufgenommen werden, für die ich – ohne gefragt zu werden – auch noch mithaften soll.
    Man kann das Verfahren dieser »Umfairteilung« in der EU mit dem so genannten »Länderfinanzausgleich« in der Bundesrepublik vergleichen, bei dem drei

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