Die letzten Tage Europas: Wie wir eine gute Idee versenken (German Edition)
»integriert«, andere nicht. Die Kanalinseln und die Isle of Man gehören zum Vereinigten Königreich, aber nicht zur EU . Für die Faröer, eine autonome Inselgruppe innerhalb des dänischen Königreichs, gelten andere Regeln als für die portugiesischen Azoren. Daneben unterhält die EU besondere Beziehungen zu Norwegen und Liechtenstein, die ihrerseits den letzten Rest der Europäischen Freihandelsassoziation EFTA bilden, die sich mit der EU zum Europäischen Wirtschaftsraum EWR zusammengeschlossen hat, dem auch Island angehört. Die politischen und wirtschaftlichen Beziehungen mit den europäischen Zwergstaaten Andorra, Liechtenstein, Monaco, San Marino und dem Vatikan wurden ebenfalls vertraglich geregelt, mit der Schweiz wurden bilaterale Abkommen geschlossen.
Aber glauben Sie nicht, das wäre schon alles. Es gibt da noch die Europäische Nachbarschaftspolitik ( ENP ), ein strategisches Programm mit dem Ziel, einen »Ring stabiler, befreundeter Staaten« rund um die EU zu etablieren. Die Union für das Mittelmeer, 2008 in Paris auf Anregung des damaligen französischen Präsidenten Sarkozy ins Leben gerufen, soll »die Grundlagen für eine politische, wirtschaftliche und kulturelle Union auf der Basis strenger Gleichheit« zwischen den Mitgliedsstaaten der EU , den Mittelmeeranrainern und einigen angrenzenden Staaten festlegen; die Östliche Partnerschaft, 2009 in Prag aus der Taufe gehoben, hat sich vorgenommen, die östlichen Nachbarn der EU – Armenien , Aserbaidschan , Georgien , Moldawien , Ukraine und Weißrussland – an die Union »heranzuführen«.
Selbst alte Kenner der Brüsseler Szene sind nicht in der Lage, die Anzahl und die Arbeitsweise der verschiedenen Netzwerke zu überblicken, die aus der EU hervorgegangen sind, mit ihr kooperieren oder ihr zuarbeiten. Sicher ist nur: Das System ist extrem kosten- und personalintensiv. Kurzum: eine gigantische Arbeitsbeschaffungsmaßnahme.
Das Rollenmodell für die EU ist Belgien, ein »Failed state« mitten in Europa, der für seine Pommes frites und seine pädophile Subkultur weltberühmt ist, und in dem außer Pralinés und Dienstleistungen fast nichts mehr produziert wird. Dafür hat das Land vier autonome Provinzen mit vier Regierungen und vier Parlamenten, weswegen es ihm dann am besten geht, wenn es keine zentrale Regierung hat, was in Belgien öfter vorkommt, ohne dass es im Land wirklich wahrgenommen würde. Belgien lebt von der EU , so wie die EU von den Beiträgen ihrer Mitgliedsstaaten lebt. Seinen in der Kolonialzeit angehäuften Reichtum hat das Land längst aufgebraucht; der Besucher merkt es sofort, wenn er mit dem Wagen von Holland einfährt und die Radschrauben Alarm schlagen. Ohne die EU -Institutionen wäre Belgien längst desintegriert, zwischen Holland und Frankreich aufgeteilt oder politisch und wirtschaftlich auf das Niveau von Burundi herabgestuft worden.
Wenn man aber einen Blick in die Zukunft der EU werfen will, kommt man um einen Besuch in Brüssel nicht herum. Gleich hinter den pompösen Palästen der EU -Behörden wartet eine ganz andere Welt darauf, entdeckt zu werden. Man kann hier gut essen und preiswert einkaufen, man muss nur wissen, dass man sich nur noch bedingt in einem Land befindet, das die »Allgemeine Erklärung der Menschenrechte« mitunterzeichnet hat. Ich würde zum Beispiel keiner Frau empfehlen, allein in eines der vielen Cafés rund um den Place St. Antoine zu gehen. Hier sind die Utopien der Berliner Unisex-Toiletten-Anhänger schon verwirklicht worden: Es gibt nur Männerklos.
Aber das sind Gegenden, in die sich EU -Mitarbeiter allenfalls verirren, wenn sie ihren geklauten Audi suchen, der, in seine Einzelteile zerlegt, ins Ausland gebracht wurde. Brüssel ist eine Art Varieté, ein Illusionstheater, die Kapitale der Magier und Wunderwerker. Hier werden Milliarden aus dem Hut gezaubert und gleich pulverisiert, hier werden Ströme von Wein in Wasser verwandelt, hier wird, wie früher in Rom, per Daumenzeichen über das Schicksal von Menschen entschieden, die Tausende von Kilometern entfernt erst dann merken, wie machtlos sie sind, wenn es zu spät ist.
Eigentlich wollte ich die Zypern-Krise, die Mitte März ausbrach, chronologisch dokumentieren. Aber das erwies sich als unmöglich, weil nicht einmal der fleißigste Chronist mit den Ereignissen Schritt halten konnte. So konzentrierte ich mich darauf, mir ein paar Fragen zu merken, die in den Berichten unbeantwortet blieben, um sie bei meinem nächsten
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