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Die letzten Tage Europas: Wie wir eine gute Idee versenken (German Edition)

Die letzten Tage Europas: Wie wir eine gute Idee versenken (German Edition)

Titel: Die letzten Tage Europas: Wie wir eine gute Idee versenken (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henryk M. Broder
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Binnenmarkt oder dem Export zu verdanken ist, dem deutschen Fleiß oder der deutschen Sparsamkeit, hat zwangsläufig dazu geführt, dass wir unser Modell, unsere »Wohlstandsmethodik«, genauso exportieren wollen wie Volkswagen aus Wolfsburg, Schrauben von Würth oder Armaturen von Grohe. Aber: Ein wesentlicher Grund für den wirtschaftlichen Erfolg Deutschlands könnte die deutsche »Vielstaaterei« sein, ein ebenso lästiges wie wertvolles Erbe aus unserer Geschichte. Mit ihr hat sich auch eine entsprechende kleinteilige mittelständische Industrie entwickelt, die auf vielen Gebieten der Realwirtschaft einer zentralistisch organisierten Ökonomie überlegen ist.
    Doch weder unsere Geschichte, unser protestantisches Arbeitsethos noch unsere Mentalität, die »gutes Leben« vor allem materiell interpretiert, lassen sich in die katholischen Länder Südeuropas exportieren. Kein Wunder, dass man uns vorwirft, wir wollten wieder einmal am deutschen Wesen die Welt, diesmal Europa, genesen lassen.
    Dies ist die tragische Falle, in die uns die Europa-Euphoriker hineinmanövriert haben. Doch statt zu sagen: Jetzt ist Schluss damit, lasst uns einen langsamen Rückbau angehen, treten sie immer kräftiger auf das Gaspedal, wie der Fahrer eines Wagens, der im Sand steckengeblieben ist. Wer wirklich den Frieden in Europa erhalten will, der tritt den geordneten Rückzug an, je früher, desto besser.
    Peace Now!

10. Frage dich, was du für Europa tun kannst
    Es dürfte Ihnen schon aufgefallen sein, dass ich zur Erklärung »komplexer« Tatbestände eher Anekdoten als Computerberechnungen heranziehe. Unter anderem deswegen, weil ich, wie bereits gesagt, wenig Vertrauen zu »Experten« habe, deren Vorhersagen sich auf das Gestern beziehen. Außerdem gibt es keine interessenfreie Wissenschaft. Sogar bei der Interpretation von Statistiken kommt es auf die Interessenlage an. Das beste Beispiel dafür sind die periodischen Armuts- und Reichtumsberichte, an denen so lange herumgedoktert wird, bis sie dem gewünschten Ergebnis entsprechen.
    Wer reich ist, bestimmt der Finanzminister, indem er festlegt, ab wann der höchste Steuersatz zum Zuge kommt. Ab 500000 Euro Jahreseinkommen? Ab 250000 Euro? Oder schon bei 100000 Euro, gar bei 60000? Man nennt das Verfahren »kalte Progression« oder einfacher: fortschreitende Enteignung.
    Bei der Armut wird zwischen »absoluter« und »relativer« Armut unterschieden. Das ist sinnvoll, denn jemand, der genug zum Essen und ein Dach über dem Kopf, aber zu wenig Geld hat, um sich einen Kinobesuch leisten zu können, ist natürlich arm. Es ist auch albern zu sagen, die meisten Afrikaner wären dankbar, wenn sie so »arm« wären wie unsere Sozialhilfeempfänger. Als Einstein einmal gebeten wurde, seine Relativitätstheorie einem Laien zu erklären, soll er geantwortet haben: »Drei Haare auf dem Kopf sind sehr wenig. Drei Haare in der Suppe sind sehr viel.«
    Aber auch die »relative« Armut ist eine extrem variable Größe. Als »relativ arm« gilt, wer – je nach Definition – 40, 50 oder 60 Prozent des durchschnittlichen Einkommens zur Verfügung hat. Mit einer solchen Definition wird die Armut dauerhaft zementiert. Würde das Durchschnittseinkommen in Deutschland auf 10000 Euro pro Kopf und Monat steigen, wäre jeder, der weniger als vier-, fünf- oder sechstausend Euro verdient, arm dran. Wobei natürlich gefragt werden muss, was man für dieses Geld dann bekäme: einen gebrauchten Kleinwagen oder nur ein altes Fahrrad. Wenn es also schon so mühsam ist, sich darauf zu verständigen, wer arm und wer reich ist, wie mühsam ist es erst auszurechnen, welche Nation in Europa bedürftig und welche vermögend ist?
    Anfang April dieses Jahres wurde eine Studie der Europäischen Zentralbank bekannt, wonach ausgerechnet die Zyprer das zweitreichste Volk innerhalb der Euro-Zone sind, gleich nach den Luxemburgern. Die Deutschen dagegen belegten den letzten Rang unter den 17 Euro-Staaten. Die Untersuchung wurde lange zurückgehalten, um die EU -Hilfen für das »bankrotte« Zypern nicht zu gefährden. Müssten unter solchen Umständen nicht die Zyprer in die Tasche greifen, um den Not leidenden Deutschen zu helfen?
    Nicht unbedingt. Denn das Vermögen setzt sich aus vielen Faktoren zusammen, unter anderem Wohneigentum. 77 Prozent der Zyprer leben in den eigenen vier Wänden, in Deutschland sind es nur 44 Prozent. Die deutschen Ferienhäuser auf Mallorca zählen zum Vermögen der Spanier und nicht der

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