Die letzten Tage Europas: Wie wir eine gute Idee versenken (German Edition)
wiedergewählt werden möchte. Auch die Politik von Angela Merkel ist nicht darauf gerichtet, britische Interessen zu vertreten – mit der Absicht, abgewählt zu werden. Cameron hatte der EU auch kein Ultimatum gestellt. Er hatte – Schulz, hören Sie! – ein paar grundsätzliche Fragen zur Gegenwart und Zukunft der EU formuliert und ein Referendum in Aussicht gestellt. Nur wer der Ansicht ist, das Volk sei zu dumm, um mitreden zu können, wird so ein Vorgehen unangemessen finden.
Dabei räumte Schulz ein, dass Cameron »berechtigte Fragen« stellt. Man müsse sogar »noch welche hinzufügen«, allerdings »immer mit dem Ziel, die EU zu verbessern, und nicht, sie abzuschaffen«.
Da war er wieder, der autoritäre, fast schon totalitäre Zungenschlag. Kritik – ja, bitte! Aber nur konstruktiv. Und was konstruktiv ist, bestimmt diesmal nicht das ZK der KPdSU , sondern der Präsident des Europaparlaments.
Nun ist Schulz kein verbockter Altkommunist, sondern ein gemütlicher Rheinländer, dem das Amt zu Kopf gestiegen ist. Sein Motto lautet nicht »Europa über alles!«, sondern »Quod licet Iovi, non licet bovi« – »Was Jupiter erlaubt ist, ist einem Ochsen nicht erlaubt.« Deswegen darf er auch sagen: »Die EU ist längst ein Staatsgebäude mit erheblichen Souveränitätsrechten, und das nehmen die Bürger auch so wahr … Sie ist schlecht geführt und schlecht organisiert. Wir haben einen massiven Vertrauensverlust der europäischen wie der nationalen Institutionen erlitten.«
Wenn aber der britische Premier das Gleiche nur einen Tick klarer sagt, dann wird er von Martin Schulz abgemeiert. Denn: »Ich würde mir wünschen, dass wir die EU gemeinsam verbessern – und von innen heraus.« Ich will mich nicht im Ton vergreifen, aber sind nicht manche Zeitgenossen mit genau dieser Begründung der SED beigetreten – um das System von innen zu verändern? Welches System hat sich schon von innen heraus reformiert, ohne dass von außen Druck ausgeübt wurde? Schulz war nicht der Einzige, der sich verpflichtet fühlte, Cameron die gelbe Karte zu zeigen. »Merkels Geduld mit den Briten hat ihre Grenzen«, meldete die »Welt« am 24. Januar. Zwei Wochen später, am 7. Februar, legte der Berufsdiplomat und FDP -Abgeordnete im Europaparlament, Alexander Graf Lambsdorff, noch ein Scheit nach. Camerons Vorschläge zur »Rückabwicklung der EU « seien »brandgefährlich«. Das sage er »als Deutscher, als Liberaler und als Europäer«. Denn Europa sei »ein Raum der Freiheit«, als Belege nannte der Liberale den europäischen Binnenmarkt, die Reisefreiheit, das Erasmus-Programm für Studenten, die Niederlassungsfreiheit und: die »Billigflieger«; worauf ich ihn gerne gefragt hätte, wann er denn zum letzten Mal mit EasyJet geflogen sei. Zusammen mit dem Cowboy aus der Marlboro-Werbung, der ihm etwas über den »Geschmack von Freiheit und Abenteuer« erzählte. Aber das war noch nicht alles, was Lambsdorff am Herzen lag. Er warnte auch vor der »Renationalisierung Deutschlands«, denn: »Wenn Deutschland antieuropäisch wird, wird der Rest Europas antideutsch.«
Deutschland und der dumme Rest. Erstaunlicherweise wird Europa umso antideutscher, je zwanghaft proeuropäischer Deutschland wird.
Des Grafen Demut war nur gespielt, seine Warnung vor einer »Renationalisierung« nur ein Manöver, um seine eigenen Großmachtphantasien elegant zu verkleiden. Cameron habe »einen rein funktionalen Blick auf Europa«, dagegen stehe »die Vision einer handlungsfähigen Union, die auf Augenhöhe mit den anderen Großmächten des 21. Jahrhunderts verkehrt«. Was Visionen angeht, hat Helmut Schmidt schon vor Jahren das einzig Richtige gesagt: »Wer eine Vision hat, der soll zum Arzt gehen.«
Man könnte auch Gottfried Benn zitieren: »Das Glück gleicht dem Balle, es steigt zum Falle.« Oder den Bauernkalender: Hochmut kommt vor dem Fall. Die große Vision der »Vereinigten Staaten von Europa« ist ein Projekt der Eliten, die sich gegenseitig fördern und befördern, von Politkern, die in die Geschichte eingehen wollen, und – nebenbei – deutschen Gutmenschen, die »Europa« für ein An titoxin gegen das Gift des Nationalismus halten. Eine Geste des guten Willens, die dafür sorgen soll, dass wir Deutschen überall dort geliebt werden, wo die SS und die Wehrmacht verbrannte Erde hinterlassen haben. Eine Art Wiedergutmachung an Europa.
Genau das Gegenteil ist der Fall: Der deutsche wirtschaftliche Erfolg, egal ob er dem Euro, dem
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